Geschichte

Erzwungene Zusammenarbeit

»Auf nach Palästina«: höhnische Aufforderung an die deutschen Juden (Sigmaringen, 30er-Jahre) Foto: dpa

Bis in die Gegenwart wird ebenso böswillig wie ahistorisch behauptet, der Zionismus sei eine Form von Rassismus, der sich im Grunde nicht vom Nationalsozialismus unterscheide. Über den Zusammenhang zwischen Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich hat der an der Universität Vermont lehrende Historiker Francis R. Nicosia eine eindrucksvolle Studie vorgelegt.

Der Zionismus teilte, als »völkische nationalistische Ideologie und Bewegung«, so der Autor, durchaus einige Ansichten mit dem deutschen Nationalismus. Eine unbequeme Wahrheit, die nicht jeder teilen mag. Nicosia weiß, dass er ein heikles Thema angefasst hat. Nach dem Holocaust finden es viele Menschen intellektuell und emotional nachgerade unvorstellbar, dass sich jüdische Interessen jemals mit jenen von Nazis und Antisemiten gedeckt oder Juden es für notwendig erachtet hätten, mit Hitlers Staat zusammenzuarbeiten.

Auswanderung Die zionistische Bewegung hatte, wie alle jüdischen Organisationen, jedoch nicht die Wahl, den Kontakt zu NS-Staatsstellen zu verweigern, und war gezwungen, an bestimmten Maßnahmen mitzuwirken, trug jedoch dadurch dazu bei, dass eine beträchtliche Anzahl von Juden dem Holocaust entkommen konnte. Aus Sicht der Nazis handelte es sich dabei um keinen humanitären Impetus, sondern war allein der Tatsache geschuldet, sich der Juden zu entledigen und daraus auch politischen und wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen. Die jüdische Auswanderung war den Nazis erwünscht, in der Errichtung eines Judenstaats sahen sie im Gegensatz zu Herzl aber keine »moderne Lösung für die Judenfrage«.

Die tatsächliche Beziehung zwischen den Zionisten und dem Regime war inoffizieller Natur und wurde von Staats wegen aus pragmatischen Gründen widerwillig und ohne Aufgabe antisemitischer Grundsätze eingegangen. Die zionistische Entschlossenheit, jüdisch zu bleiben und eigenständig zu leben sowie ein jüdisches Nationalbewusstsein zu pflegen, wurde von den Nationalsozialisten allein aus praktischen Gründen begrüßt.

Konfiszierung Das Ha’avara-Abkommen des Reichswirtschaftsministeriums mit der Zionistischen Vereinigung für Deutschland war allenfalls ein Intermezzo: Das Interesse des NS-Regimes an diesem 1933 geschlossenen Abkommen war, die Auswanderung der Juden aus Deutschland voranzutreiben und durch Konfiszierung jüdischer Vermögenswerte erhebliche wirtschaftliche Vorteile zu ziehen; das jüdische Interesse war, möglichst viele Juden und zumindest einen kleinen Teil ihres Vermögens durch Auswanderung zu retten. Bis zum Auswanderungsverbot im Oktober 1941 konnten so mehr als 53.000 Juden auf legalem Wege aus dem »Altreich« nach Palästina emigrieren – etwa zehn Prozent des deutschen Judentums.

Gleichwohl zerstoben sich die zionistischen Hoffnungen, dass das NS-Regime den deutschen Juden ein Mindestmaß an Schutz zukommen lassen würde, bis der Auswanderungsprozess abgeschlossen war. Die Nazis waren nur bis 1941, als bei ihnen die Pläne zur »Endlösung« gediehen waren, bereit, die zionistische Bewegung für ihre Zwecke zu nutzen.

Nicosia widerspricht vehement der Behauptung, Zionisten hätten mit den Nazis kollaboriert. Der notwendige Kontakt und der Grad der Zusammenarbeit der deutschen Zionisten mit dem NS-Regime von 1933 bis 1941 lasse in keiner Weise auf eine geheime Absprache oder Kollaboration schließen.

Francis R. Nicosia: »Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich«. Wallstein, Göttingen 2012, 400 S., 39,90 €

Dorset

»Shakespeare In Love« - Dramatiker Tom Stoppard gestorben

Der jüdische Oscar-Preisträger war ein Meister der intellektuellen Komödie. Er wurde 88 Jahre alt

von Patricia Bartos  01.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  01.12.2025 Aktualisiert

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 30.11.2025 Aktualisiert

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025

Interview

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  29.11.2025

Hollywood

Die »göttliche Miss M.«

Die Schauspielerin und Sängerin Bette Midler dreht mit 80 weiter auf

von Barbara Munker  28.11.2025

Literatur

»Wo es Worte gibt, ist Hoffnung«

Die israelische Schriftstellerin Ayelet Gundar-Goshen über arabische Handwerker, jüdische Mütter und ihr jüngstes Buch

von Ayala Goldmann  28.11.2025

Projektion

Rachsüchtig?

Aus welchen Quellen sich die Idee »jüdischer Vergeltung« speist. Eine literarische Analyse

von Sebastian Schirrmeister  28.11.2025