Wuligers Woche

Erst Auschwitz. Dann Party

Lego-KZs, Anne-Frank-Puppen und Schoa-Torten: Ein Plädoyer gegen die »Erinnerungskultur«

von Michael Wuliger  22.01.2018 18:09 Uhr

Auf dem Spielplan des Berliner Ensembles stehen am 27. Januar Workshops, Filme, Podiumsdiskussionen – und zum Abschluss eine Party: »Reden, feiern und trinken – ohne dabei zu vergessen«. Foto: imago/Rolf Zöllner

Lego-KZs, Anne-Frank-Puppen und Schoa-Torten: Ein Plädoyer gegen die »Erinnerungskultur«

von Michael Wuliger  22.01.2018 18:09 Uhr

Vor einigen Jahren lud mich ein inzwischen nicht mehr existierender Verlag zu einem Abendessen mit Buchvorstellung in eines der besseren Berliner Restaurants ein. Das Buch war die Autobiografie einer Schoa-Überlebenden. »Während des Essens wird unsere Autorin von ihren Erlebnissen im KZ Birkenau berichten«, hieß es in dem Schreiben. Ich sagte die Einladung einigermaßen höflich ab. Manche Sachen passen einfach nicht zusammen.

Das Restaurant, in dem mir ein Drei-Gänge-Menü mit Wein und Vernichtungslager entging, war das »Ganymed« am Schiffbauerdamm, neben dem »Berliner Ensemble«. Der Zufall will es, dass in ebendiesem Theater am 27. Januar ein ganztägiges Sonderprogramm zum Holocaust-Gedenktag stattfindet. Auf dem Spielplan stehen Workshops, Filme, Podiumsdiskussionen – und zum Abschluss eine Party: »Reden, feiern und trinken – ohne dabei zu vergessen«, lautet das Motto.

dummheit Vielleicht ist das als Referenz an den Gründer des Hauses, Bertolt Brecht, und sein »Solidaritätslied« gemeint: »Beim Hungern und beim Essen, vorwärts und nie vergessen …« Wahrscheinlicher ist, dass, wer immer das Programm geschrieben hat, sich bei dem Satz gar nichts gedacht hat. Oder, noch schlimmer, originell sein wollte.

Dem Programmverfasser sollte man das nicht persönlich anlasten. Der dumme Spruch ist kein individueller Ausrutscher. Er passt perfekt zur gängigen »Erinnerungskultur«. Längst ist das vorgebliche Gedenken an die Millionen Ermordeten zum Event verkommen. Wichtigtuer schlachten das Leid zwecks Eigenprofilierung aus.

Für Künstler und Autoren gilt die Devise: »Fällt dir überhaupt nichts ein, / schreibe einfach Auschwitz rein.« Und das oft auf niedrigstem Niveau. Ob Lego-KZs, Anne-Frank-Puppen oder, wie bei einer Feier der Spielberg-Foundation, eine große Torte mit der Zuckergussaufschrift »Shoah«: Wenn es um Holocaust-Erinnerung geht, sind die Grenzen von Geschmack und Anstand nach unten offen. Da helfen auch keine noch so bewegenden Reden im Bundestag.

Kostümfete Bevor die Leichenfledderei noch weiter geht und ihren nächsten Tiefpunkt erreicht – irgendwann kommt wahrscheinlich eine Auschwitz-Kostümfete in gestreifter Häftlingskleidung und SS-Uniformen: Machen wir dem Elend ein Ende! Streichen wir den 27. Januar aus dem offiziellen Kalender. Ebenso alle anderen Erinnerungsveranstaltungen. Stellen wir vor allem die Produktion von Holocaust-Spin-off-Erzeugnissen ein: keine Schoa-Bücher, -Filme, -Kunstwerke und -Konzerte mehr. Schluss mit dem immer peinlicher werdenden Zirkus!

Mit einer Ausnahme: wenn am Jom Haschoa in Israel mittags die Sirenen ertönen und eine Minute lang das ganze Land in Stille verharrt. Das ist ein würdiges Gedenken, am richtigen Ort und durch die Menschen, die es tatsächlich angeht. Was die hiesigen Erinnerungskulturbetreiber betrifft: Lasst es bitte sein! Die Toten haben Besseres verdient.

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert