Vortrag

Erfahrung des Exils

Fritz Stern Foto: BWBS / Dittberner

Beinahe wäre er nicht gekommen. Beim Check-In am New Yorker Kennedy-Airport fiel Fritz Stern und seiner Frau auf, dass sein Reisepass schon seit geraumer Zeit abgelaufen war.

Diese kleine Anekdote wirkt umso ironischer, da der renommierte deutsch-amerikanische Historiker in Berlin unter dem Titel »Freiheit und Exil – Heinrich Heines Welt und die unsere« einen Vortrag über Heines Zeit im Pariser Exil halten sollte. Auf Einladung der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung hatte sich Fritz Stern bereit erklärt, noch einmal nach Europa zu fliegen, um die diesjährige »Willy Brandt Lecture« zu halten.

Diplomatischen Beziehungen und dem Wohlwollen der Behörden ist es zu verdanken, dass Fritz Stern trotzdem am 11. Juni im randgefüllten Audimax der Berliner Humboldt-Universität sprechen konnte. Unter den Gästen waren unter anderem Ex-Außenminister Joschka Fischer, der »Architekt der Ostpolitik« Egon Bahr, der Historiker Heinrich August Winkler und der frühere US-Botschafter in Berlin, John Kornblum.

Nach einleitenden Worten des SPD-Politikers Wolfgang Thierse, der Stern als »herausragenden Brückenbauer transatlantischer Beziehungen« bezeichnete, begann Fritz Stern von seiner persönlichen Beziehung zu Heinrich Heines Erzählungen und Gedichten zu sprechen.

Herberge 1926 in Breslau in eine alteingesessene jüdische Ärztefamilie geboren, konnte Stern sich schon früh mit den Themen identifizieren, die Heine in seinen Werken behandelte.

In den Jahren von der Machtübernahme der Nationalsozialisten bis zur Flucht der Familie Stern nach Amerika im Jahre 1938 war Heines Werk ihm »eine geheime Herberge«, wie er sagt. Besonders ein Satz sollte Fritz Stern die Komplexität der Freiheit verdeutlichen: »Das Wesen des Frühlings erkennt man erst im Winter.« Kein Wunder also, dass Stern der Abschied aus Deutschland leicht fiel; die Heimat war enteignet, und in Amerika erwartete ihn der Frühling.

Heinrich Heine ging 1831 wohl mit gemischteren Empfindungen ins französische Exil. 1797 geboren, war Napoleon für ihn als Jugendlicher der »Künder der Freiheit«. Heine hoffte, dass sich die Freiheiten, die die Bürger des Rheinbundes genossen, bald auf Gesamtdeutschland ausbreiten würden. Als die napoleonische Armee dann 1815 von Blücher und Wellington vernichtend geschlagen wurde und Bonaparte ein letztes Mal nach Sankt Helena exilieren musste, war das für Heine das Ende aller politischen Hoffnungen.

Fremd Den Wiener Kongress verfolgte Heine mit Ekel und verachtete die sich anschließende Restauration. In den Jahren nach der napoleonischen Ära zeigen sich bei ihm erste Entfremdungserscheinungen. Heine bedauert Johann Wolfgang von Goethe für dessen sentimentale Einstellung zum Ancien Régime und glaubt, in dem englischen Dichter und Liberalen Lord Byron einen Bruder gefunden zu haben.

Als Jude geboren, fühlt er sich im immer noch ungeeinten Deutschland trotz seiner Taufe 1824 zunehmend fremd – im Rheinbund waren Juden gleichberechtigt, nach 1815 sieht sich Heine jedoch immer häufiger antisemitischen Attacken ausgeliefert. Als dann noch wiederholt seine Schriften zensiert werden, weiß Heine, dass es für einen schwärmerischen Idealisten und Liberalen wie ihn im reaktionären Deutschland keine Zukunft gibt. In sein Tagebuch schreibt er: »Aus Liebe zu meiner Nation muss ich ins Exil gehen.«

In Frankreich ist Heinrich Heine willkommen. Er zieht nach Paris und nimmt dort seine Arbeit als Schriftsteller wieder auf. Seine neugewonnen Landsleute lieben Heines Romane, und auch andere berühmte Dichter wie Walt Whitman zählen zu seinen eifrigen Lesern.

In Paris trifft Heine auch auf andere Exilanten wie Karl Marx und macht sich schnell in ganz Europa einen Namen als bedeutender Schriftsteller und Gesellschaftskritiker. In Deutschland ist dies jedoch ein Grund, ihn noch mehr zu hassen. Ein Zeitgenosse nannte ihn einen »lästerlichen, zerstörischen, zersetzenden Juden, der mit Ironie spottet«.

Verbundenheit Noch über seinen Tod hinaus wird Heinrich Heine in Deutschland verachtet. Als das NS-Regime 1933 zur öffentlichen Bücherverbrennung aufruft, ist Heines Deutschland, ein Wintermärchen das erste Buch, das auf dem Scheiterhaufen landet.

Einer, der ebenfalls nicht in »Kerkerfreiheit« (Heine) leben wollte, war Willy Brandt. 1936 geht er mit dem Segen der SAPD ins norwegische Exil und schreibt dort, ähnlich wie Heine, für einheimische sozialistische Zeitungen. Sowohl Heinrich Heine als auch Willy Brandt verloren im Exil nie die Verbundenheit zu Deutschland.

Bei Fritz Stern ist das anders. Nach seinem Vortrag sagte er der Jüdischen Allgemeinen auf die Frage, ob er sich nach all den Jahren noch als Deutscher fühle, sagte er: »Nein, als Amerikaner und Europäer.«

Frankfurt am Main

Bildungsstätte Anne Frank zeigt Chancen und Risiken von KI

Mit einem neuen Sammelband will sich die Institution gegen Diskriminierung im digitalen Raum stellen

von Greta Hüllmann  19.04.2024

Kunst

Akademie-Präsidentin gegen Antisemitismus-Klausel

»Wir haben ein gutes Grundgesetz, wir müssen uns nur daran halten«, sagt Jeanine Meerapfel

 19.04.2024

Jehuda Amichai

Poetische Stimme Israels

Vor 100 Jahren wurde der Dichter in Würzburg geboren

von Daniel Staffen-Quandt  19.04.2024

Antisemitismus

Zentralrat der Juden äußert sich zu Hallervordens Gaza-Video

Das Gaza-Gedicht des Schauspielers wurde in den vergangenen Tagen massiv kritisiert

 19.04.2024

Streaming

»Bros«: Zwei Trottel, eine Bar

Die erste rein hebräischsprachige und israelische Original-Produktion für Netflix ist angelaufen

von Ayala Goldmann  18.04.2024

Interview

»Deutschland ist eine neurotische Nation«

Bassam Tibi über verfehlte Migrationspolitik, Kritik an den Moscheeverbänden und Ansätze für islamische Aufklärung

von Christoph Schmidt  18.04.2024

Verschwörungstheorien

Nach viel kritisiertem Israel-Hass-Video: Jetzt spricht Dieter Hallervorden

Der Schauspieler weist die Kritik an seiner Veröffentlichung zurück

 18.04.2024

Venedig

Israelhasser demonstrieren bei Kunstbiennale

Die Demonstranten forderten einen Boykott israelischer Künstler

 18.04.2024

Klassik

Eine Liebeserklärung an die Mandoline

Der israelische Musiker Avi Avital verleiht Komponisten wie Bach oder Vivaldi einen unverwechselbaren neuen Touch

von Christine Schmitt  18.04.2024