TV-Tipp

Engagement statt Schlussstrich

Polizeianwärter bei einer Lehreinheit in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen Foto: ZDF/ Knut Muhsik

Diese Doku ist ein ziemlicher Ritt durch die Untiefen von Antisemitismus und Rechtsextremismus: Innerhalb von nur 44 Minuten widmet sich der ZDF-Beitrag den beiden Phänomenen von so vielen unterschiedlichen Seiten, dass es schier überbordend ist.

Es ist klar, dass die meisten Aspekte und Beispiele nur angeschnitten werden können und manches leider untergeht. Zugleich entsteht auf diese Weise ein Überblick, der es dem Zuschauer erlaubt, Querverbindungen zwischen Akteuren und Ereignissen zu erkennen, über die er vielleicht noch nicht im Bilde war.

erinnerungskultur Denn auch darauf stellt die Dokumentation, die am 5. Dezember um 20.15 Uhr auf ZDFinfo ausgestrahlt wurde, stark ab. Sie trägt den Titel Die Deutschen und der Holocaust – Schluss mit Schlussstrich? und will viel mehr. Denn auf dem Weg zum Thema Erinnerungskultur schaut sie auf die Corona-Demonstrationen, die dortige Melange aus besorgten, aber unbedarften Bürgern, Impfgegnern, Anhängern von Verschwörungsmythen und Rechtsextremen. Auch der israelfeindliche Al-Quds-Marsch, hinter dem die Hisbollah steht, kommt vor.

Die Doku blickt in den Gerichtssaal, wo dem Mann der Prozess gemacht wird, der einen Anschlag auf die Synagoge in Halle geplant hatte und zwei Unbeteiligte erschoss. Gezeigt werden prominente AfD-Politiker bei unterschiedlichen Auftritten – etwa Björn Höckes Forderung nach einer »180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur« sowie Alexander Gaulands Äußerung, dass der Nationalsozialismus ein »Vogelschiss« in der deutschen Geschichte gewesen sei.

Die Doku zeigt auch, wie Anhänger der rechten Szene auf Corona-Demos und »Querdenker«-Protesten auftauchen, und welche Internetforen zu Plattformen und Vernetzung rechten Gedankenguts wurden. »Der Pilz treibt ständig neue Sporen«, sagt dazu eine Stimme aus dem Off. Entsprechende Inhalte fänden immer neue Wege in die Gesellschaft und drängten in deren Mitte und auf die Straße. Hemmschwellen sinken.

verfassungsschutz Der Konfliktforscher Andreas Zick sagt dazu, dass gesellschaftliche Institutionen wie etwa Sportvereine, die Kirchen und Universitäten an Bindekraft verloren hätten. Und der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, betont: »Wir erleben in Deutschland einen geschichtspolitischen Klimawandel.« Beide kommen in der Doku ebenso zu Wort wie weitere Vertreter der Wissenschaft und des Verfassungsschutzes.

Von aktuellem jüdischem Leben in Deutschland gibt es kaum Bilder.

So auch Samuel Salzborn, der im Frühjahr den Essay »Kollektive Unschuld« vorgelegt hat. Seine These: »Es ist nicht weniger als die größte Lebenslüge der Bundesrepublik: der Glaube an eine tatsächliche Aufarbeitung der Vergangenheit.« Das sei ein Projekt einer kleinen Elite. Während die NS-Zeit Thema im Schulunterricht sei, komme Antisemitismus der Gegenwart dort kaum vor, kritisiert nicht nur er.

Was in Deutschland konkret für Aufarbeitung und Erinnerungskultur getan wird, bekommt der Zuschauer dann später zu sehen. Da gibt es zum Beispiel das Projekt »Meet a Jew« des Zentralrats der Juden in Deutschland, bei dem jüdische Jugendliche und Erwachsene etwa an Schulen Einblick in ihren Alltag geben, um Vorurteile abzubauen. Der Zuschauer beobachtet zudem Schüler der Polizeihochschule Brandenburg, die direkt neben dem ehemaligen KZ Sachsenhausen nördlich von Berlin steht, bei einer speziellen Führung durch die Gedenkstätte. Für einen der Anwärter, Luis, ist klar: »Man kann keinen Schlussstrich ziehen.«

zeitzeugen Weil bald keine Zeitzeugen mehr leben, müssen andere Formen des Erinnerns gefunden werden: Zeitzeugen als Hologramme etwa, digitale Formate oder Computerspiele – alles nicht unumstritten. Das aber die aktuelle Erinnerungskultur in Deutschland mit ihren teilweise starren Ritualen auch unter Juden umstritten ist, kommt in der Doku nur sehr am Rande vor. Auch von aktuellem jüdischem Leben in Deutschland gibt es kaum Bilder. Dabei sagen Experten, dass Begegnungen ein wirksames Mittel gegen das Vergessen und damit auch gegen Antisemitismus seien.

Der Film kommt zu dem Ergebnis: »Engagement statt Schlussstrich«. Denkbar wäre, dass dieser 44 Minuten dauernde Film von der Zeit her durchaus in eine Unterrichtsstunde passen würde.

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