Sehen!

Eine vielschichtige Realität

Der arabisch-israelische Maler Durar Bacri präsentierte ein Tel-Aviv-Gemälde, auf dem eine Kaktusfeige zu sehen ist. Foto: Bari Durar

Sehen!

Eine vielschichtige Realität

Die neue Ausstellung »Who by Fire – On Israel« präsentiert eine Reflexion Israels in zwölf Kunstwerken

von Lilly Wolter  19.06.2023 18:00 Uhr

Fast jeder hat eine Meinung zu Israel, oft sogar diejenigen, die das Land kaum kennen. Gespräche über den kleinen Nahoststaat neigen daher nicht selten zu Undifferenziertheit. Mit der Ausstellung Who by Fire – On Israel, die vergangene Woche im Berliner Haus am Lützowplatz eröffnet wurde, liefert der in Tel Aviv ansässige Kurator Liav Mizrahi nun vielschichtigere Perspektiven auf ein Land, dessen Komplexität nicht alle aushalten.

Die Schau geht der Frage nach, was der Staat Israel heute ist und wie er sich in den Augen seiner Bürgerinnen und Bürger definiert. Who by Fire zielt dabei nicht auf einfache Antworten ab. Die insgesamt zwölf Kunstwerke veranschaulichen, dass es im heutigen Israel mehr Grautöne als Schwarz-Weiß gibt.

Kunstwerke Zu sehen ist unter anderem Ella Littwitzʼ Kunstwerk »The Promise«: ein Bronzeguss der Überreste eines von Theodor Herzl in »Eretz Israel« gepflanzten Baumes, der 1915 gefällt wurde. Der übrig gebliebene Stumpf wurde lange in einem gepanzerten Safe aufbewahrt. Mehr als 13 Jahre musste Littwitz für eine Genehmigung kämpfen, um den Baumstamm für ihr Werk scannen zu dürfen. Ihre Bronzekopie steht für die Visionen des Zionismus und die Stärke des jüdischen Volkes.

Der arabisch-israelische Maler Durar Bacri präsentierte ein Tel-Aviv-Gemälde, auf dem eine Kaktusfeige zu sehen ist – eine wichtige Ikone in der palästinensischen Kunst. Die Kaktusfeige, auf Hebräisch »Tzabar« genannt, beschreibt aber auch die neuen jüdischen Bürger, die nach der Einwanderung ihrer Eltern in Israel geboren wurden. Diese Ambivalenz nutzt Bacri gezielt.

Der Künstler Michael Halak, ein christlich-palästinensischer Israeli, zeigt in seinem Werk »Curfew I, Curfew II« zwei Pässe – einen palästinensischen und einen israelischen – festgeklebt mit Papierklebestreifen, die ein Kreuz bilden. Ein Hinweis auf die religiöse Zugehörigkeit Halaks, der mit seiner Arbeit auf die komplexe Identitätsfrage in Israel und den palästinensischen Gebieten abzielt und daran erinnert, dass dort nicht nur Juden und Muslime zuhause sind, sondern auch Christen sowie weitere, religiöse Minderheiten.

Diese Ausstellung sucht nicht bloß nach Provokation, sie geht aber auch keinem Konflikt aus dem Weg.

Die Videoinstallation »TKUMA« von Leon Kahane und Shlomo Pozner porträtiert zwei junge Israelis. Der eine wird bald seinen Militärdienst beginnen. Der andere, ein ultraorthodoxer, junger Mann, der aufgrund seiner Torastudien vom Militärdienst befreit ist, bereitet sich auf eine traditionelle Ehe vor. Zwei maximal konträre Realitäten, die wichtige Überlebensstrategien des jüdischen Volkes offenlegen: Kampf und/oder Fortpflanzung.

metapher Ein weiteres Highlight ist das Werk »Merkava« von Dina Shenhav, das einen halben Panzer in Originalgröße aus Schaumstoff zeigt – eine Metapher für das oft als hart und militärisch wahrgenommene Israel, das in seinem Kern vielleicht doch weicher ist, als es scheint.

Doch nicht alle Werke beschäftigen sich mit Konflikten. Ariane Littman beispielsweise will in ihrer Kunst die israelische Gesellschaft heilen. In ihrem 7-minütigen Film After the Watchman erinnert sie an den zionistischen Pionier und 1938 ermordeten Alexander Zaïd und lässt dessen Statue am Rande des Nationalparks Bet Scheʼarim mit Mullbinden umwickeln. Ein Aufruf zum Frieden und zur körperlichen Unversehrtheit also.

Interessant ist auch der Titel der Ausstellung, der bewusst nach einem Lied von Leonard Cohen benannt wurde. Cohen schrieb »Who by Fire« im Jahr 1974, nachdem er Israel während des Jom-Kippur-Krieges 1973 besucht hatte. Seine Eindrücke fanden ihren Weg in die Musik und spiegeln sich nun im Haus am Lützowplatz wider, wo deutlich wird: Diese Ausstellung sucht nicht bloß nach Provokation, sie geht aber auch keinem Konflikt aus dem Weg.

Die Ausstellung ist bis 27. August im Berliner Haus am Lützowplatz zu sehen.

Feiertage

Weihnachten mit von Juden geschriebenen Liedern

Auch Juden tragen zu christlichen Feiertagstraditionen bei: Sie schreiben und singen Weihnachtslieder

von Imanuel Marcus  10.12.2025

Kalender

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 11. Dezember bis zum 17. Dezember

 10.12.2025

Debatte

Wie umgehen mit Xavier Naidoo?

Der Sänger kehrt auf die großen Bühnen zurück. Ausverkaufte Hallen treffen auf Antisemitismus-Vorfälle, anhängige Verfahren und eine umstrittene Entschuldigung - und auf die Frage, wie man heute dazu steht

von Stefanie Järkel, Jonas-Erik Schmidt  10.12.2025

Neuerscheinung

Albert Speer als Meister der Inszenierung

Wer war Albert Speer wirklich? Der französische Autor Jean-Noël Orengo entlarvt den gefeierten Architekten als Meister der Täuschung – und blickt hinter das Image vom »guten Nazi«

von Sibylle Peine  10.12.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  09.12.2025

Zahl der Woche

2 Jahre

Fun Facts und Wissenswertes

 09.12.2025

Sehen!

»Golden Girls«

Die visionäre Serie rückte schon in den jugendwahnhaftigen 80er-Jahren ältere, selbstbestimmt männerlos lebende Frauen in den Fokus

von Katharina Cichosch  09.12.2025

Film

Woody Allen glaubt nicht an sein Kino-Comeback

Woody Allen hält ein Leinwand-Comeback mit 90 für unwahrscheinlich. Nur ein wirklich passendes und interessantes Rollenangebot könnte ihn zurück vor die Kamera locken.

 09.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Von Kaffee-Helden, Underdogs und Magenproblemen

von Margalit Edelstein  08.12.2025