Musik

»Eine Maske ist gefallen«

Der Mandolinenspieler Alon Sariel über sein Bach-Projekt und ein Konzert in der Türkei, das wegen des Nahost-Krieges abgesagt wurde

von Christine Schmitt  21.12.2023 11:49 Uhr

Dirigent und Musiker: Alon Sariel (37) Foto: picture alliance / SULUPRESS.DE

Der Mandolinenspieler Alon Sariel über sein Bach-Projekt und ein Konzert in der Türkei, das wegen des Nahost-Krieges abgesagt wurde

von Christine Schmitt  21.12.2023 11:49 Uhr

Herr Sariel, Sie sind einer der führenden Mandolinenspieler der Welt und widmen Ihr Leben diesem Instrument. Sie kommen aus der »heimlichen Mandolinen-Hauptstadt« Beer Sheva …
Ich würde nicht sagen, dass ich mein Leben einem bestimmten Instrument widme; ich widme es der Musik, der Kunst und der zwischenmenschlichen Kommunikation. Ich spiele mehrere Instrumente, die Mandoline war mein erstes und ist bis heute mein Hauptinstrument.

Spielt jeder Mandoline in Beer Sheva?
Natürlich nicht, aber sie ist auf jeden Fall sehr präsent in der städtischen Musikschule. Ich wuchs in den 90er-Jahren mit vier älteren Geschwistern auf, bei uns zu Hause war der Rock ’n’ Roll ganz groß. Im Konservatorium hieß es, dass E-Gitarrenunterricht erst ab zwölf Jahren möglich sei. Ich war damals acht. »Nimm die Mandoline«, wurde mir gesagt, die ist ja fast das Gleiche in Klein. Meine Eltern fanden es wichtig, dass es vor Ort ein Mandolinenorchester gab. Das durfte öfter die Stadt repräsentieren, und wir reisten sogar ins Ausland. Ich habe das Instrument sehr schnell lieben gelernt. Die Größe hat mir gefallen, ebenfalls seine Zugänglichkeit.

Welche Musikliteratur favorisieren Sie?
Ich fühle mich sehr zu Hause in der Barockzeit und in der barocken Ästhetik.

Sie haben gerade weitere Cellosuiten von Bach aufgenommen. Wurden sie in Wirklichkeit für die Mandoline geschrieben?
In meinem Projekt »Plucked Bach« habe ich angefangen, die Cellosuiten sowie die Vio­linsonaten einzuspielen. Obwohl bei den Letzteren ganz sicher die Violine gemeint war, ist es bei den Cellosuiten sehr zweifelhaft, ob Bach wirklich das uns bekannte Cello gemeint hat. Der Komponist, der damals in Köthen lebte, dürfte die Mandoline gar nicht gekannt haben. Ich habe die Suiten in meinem »Plucked Bach« Vol. 1 auf sechs unterschiedlichen Instrumenten eingespielt, darunter die Oud, Barockgitarre, Laute und Mandoline.

Warum?
Weil ich ein Zupfer bin und kein Streicher. Meine Instrumente sind wie meine eigene Stimme, und ich liebe diese Musik so sehr.

Demnächst werden Sie ein Mandolinenkonzert des Israelis Nimrod Borenstein uraufführen. Was für eine Art von Musik ist das?
Auf jeden Fall eine sehr kommunikative, was nicht heißen soll, dass sie einfach ist. Sie ist rhythmisch enorm komplex, eben polyfon. Der Takt ist tatsächlich oft in ganz traditionellen Metren notiert. Aber meine Phrasen haben wenig mit diesem Takt zu tun. Sie haben einen inneren Rhythmus, der manchmal total gegen den Schlag des Dirigenten geht.

Sie haben das Konzert in Auftrag gegeben?
Ja, pro Jahr bestelle ich mindestens ein solches Werk. Auch wenn mein Hauptbereich in der klassischen und barocken Musik liegt, darf man sich als Musiker vor der zeitgenössischen Musik nicht verschließen.

Können Sie hier im Moment auftreten, oder werden Ihre Konzerte aus Sicherheitsgründen abgesagt?
In Deutschland finden sie statt. Aber ich sollte in Ankara in der neuen Philharmonie mein Bach-Rezital spielen. Dieser Saal zählt auf Instagram mehr als 60.000 Follower. Mein Konzert wurde abgesagt, weil es in der dreitägigen Trauerzeit für Palästina stattgefunden hätte.

Was geschah dann?
Ich habe einen Shitstorm bekommen von Türken, die mich Kindermörder genannt haben. Das war nicht ohne für mich. Auch, weil ich mich auf das Konzert sehr gefreut hatte. Ich bin schon im Juni in diesem Saal aufgetreten. Das war eine schöne Erfahrung, mit sehr vielen jungen Menschen im Publikum. Dann kam die neue Einladung. Und ich hatte das Gefühl, da passiert etwas in der Türkei. Als ich fragte, warum in Ankara so viele junge Menschen in den Konzertsaal gehen und sich für Vivaldi interessieren, hieß es, sie wollen ein Zeichen setzen: »Wir gehören zum Westen, das ist westliche Kultur, das ist ein Orchester aus Deutschland, wir gehören kulturell auch dorthin.« Das hat mich berührt. Und jetzt, ein halbes Jahr später, ist mein Bild von der Türkei ein ganz anderes.

Was sagen Ihre dortigen Bekannten dazu?
Eine Maske ist gefallen. Man ist nicht wirklich willkommen, und ich glaube nicht daran, dass sich das so bald wieder ändern wird.

Sie haben auch im West-Eastern Divan Orchestra gespielt. Hören Sie noch etwas von Ihren früheren Kollegen?
Ich bin kein aktives Mitglied mehr im Orchester, aber erinnere mich gern an unsere Tourneen. Das Schöne daran ist, dass es nicht nur Reisen mit Musik waren, sondern auch mit Gesprächen und Diskussionen. Ich fand das total bereichernd. Mit Erschrecken habe ich in den sozialen Medien gesehen, dass es selbst da, wo Kommunikation immer möglich war, jetzt große Schwierigkeiten gibt und man Fake News folgt.

Die Mandoline ist das Instrument des Jahres 2023. Ist sie dank der vielen Veranstaltungen beliebter geworden?
Ich denke schon. Worüber ich mich auch gefreut habe, waren die Einladungen zum Unterrichten. In diesem Sommer habe ich drei Meisterkurse gegeben, bei denen ich vielen jungen Mandolinisten begegnen durfte. Ansonsten gab es auch eine schöne mediale Präsenz für das Instrument, viele Interviews und Podcasts über die Mandoline – und viele Mandolinenkonzerte!

Mit dem Musiker sprach Christine Schmitt. Am 21. Dezember tritt Alon Sariel mit dem Mandolinenkonzert von Nimrod Borenstein im Kulturhaus Gotha auf. Mit seinem Projekt »Plucked Bach« tourt er auch 2024 durch Europa.

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