Kino

»Eine letzte Rolle«

Shlomi Elkabetz Foto: imago images/ZUMA Wire

Die Schauspielerin Ronit Elkabetz war die Muse des neuen israelischen Films. Sie stand mit ihrer künstlerischen Leidenschaft, mit ihrem genauen Blick auf die politische und soziale Realität in Israel für den Aufbruch des Kinos im Lande, auch als Drehbuchautorin und Regisseurin. Sie war in internationalen Erfolgen wie »Die Band von nebenan« (2007) zu sehen, mit ihrem Bruder Shlomi Elkabetz schuf sie als Darstellerin und Co-Regisseurin die eindrucksvolle Trilogie über die Position von Frauen im heutigen Israel. Deren dritter Teil »Get – Der Prozess der Viviane Amsalem« erlebte in Cannes 2014 seine Premiere und wurde für einen Golden Globe nominiert. Zwei Jahre später starb Ronit Elkabetz mit nur 51 Jahren an Krebs. In diesem Jahr stellte Shlomi Elkabetz hier in Cannes einen zweiteiligen, dreieinhalbstündigem, halbdokumentarischen Film über seine Schwester vor: »Black Notebooks 1 und 2«. Für mich war das mit seiner Intimität und Komplexität einer der Höhepunkte des Programms.

Herr Elkabetz, die persönliche Ausstrahlung Ihrer vor fünf Jahren verstorbenen Schwester Ronit war geradezu explosiv. In Ihrem jetzt in Cannes vorgestellten halb dokumentarischen Werk sehen wir, dass sie auch privat diese ungeheure Energie hatte. Was war die Quelle dafür?
Ich habe im Film nie versucht, Ronit zu dekonstruieren oder zu erklären, ich habe einfach nur eine Bühne für sie geschaffen. Aber ich kann so viel sagen: Sie war ein Mensch mit einer sehr großen Vorstellungskraft, die sie in jeder Weise nutzen konnte. Natürlich war ihr klar, welche Bedeutung sie für das Kino hatte, aber sie blieb bescheiden, sonst hätte sie ihre Mittel nicht so souverän nutzen können. Sie war immer mehr als eine Schauspielerin, sie war eine Mit-Schöpferin der Filme, die jedes Risiko einging.

Sie scheinen unendlich viel Material über Ronit zu besitzen …
Das stimmt, ich habe über die Jahre sehr viel gedreht, mein Archiv umfasst etwa 600 Stunden Filmmaterial, dazu kommen noch die Aufnahmen aus den Spielfilmen. Als Ronit gestorben war, bin ich zu dieser Materialsammlung zurückgekehrt, die sich nun verwandelt hatte: Sie war zum Archiv der Abwesenheit geworden. Ich wusste lange nicht, was ich damit anfangen sollte, bis mir die Idee kam, dass diese Bilder nicht für die Vergangenheit stehen, sondern für die Gegenwart, für die Anwesenheit in unserer Zeit. Ich wollte Ronit eine neue Präsenz auf der Leinwand geben, eine letzte Filmrolle, nicht nur wegen meiner offensichtlichen großen Liebe zu ihr und weil ich sie so sehr vermisse. Aber auch dem israelischen Kino fehlt sie sehr. Sie hat viel gegeben, und mit meinem Film, mit ihrem Leben auf der Leinwand, kann sie sich noch einmal ausdrücken.

War die Arbeit an diesem Film, den Sie schon kurz nach Ronits Tod begonnen haben, auch eine Form Ihrer Trauer?
Ich habe diesen Film nicht gemacht, um mit meiner Trauer fertig zu werden. Die große Intimität, die wir hatten, und die gemeinsame Kreativität war etwas sehr Starkes. Wir haben immer gesagt, ein Leben reicht nicht aus, um all das zu sagen, was wir gemeinsam sagen wollen. Wir hatten noch so viele Ideen für neue Filme. Ich wollte einfach noch einmal mit ihr arbeiten, Zeit mit ihr verbringen, indem ich diesen Film machte.

Es ist nicht nur ein Film über Ronit. Warum beziehen Sie Ihre marokkanisch-jüdische Familie, die entwaffnend ehrliche Mutter und den religiösen Vater, immer mit ein, deren Leben ja auch die Anregung für die Spielfilm-Trilogie war?
Ich wollte hier einen Film über all die Themen machen, die mir wichtig sind. Was bedeutet es, ein arabischer Jude zu sein, ein Immigrant, eine Frau in der israelischen Gesellschaft? Es gibt unter den vielen großartigen Regisseuren in Israel keine arabischstämmigen Juden, darum fehlt die Reflexion über diese Menschen. Ronit und ich waren eine Ausnahme, und wir haben gemeinsam immer versucht, diese Geschichten von innen heraus zu erzählen.

Wie erinnern Sie sich an Ihre Schwester, an diese große Schauspielerin, die 2016 an Krebs gestorben ist? Hat sich Ihr Blick nach der Arbeit an diesem Film verändert?
Das ist ein niemals endender Prozess, sie ist immer hier. Natürlich sprechen wir nicht miteinander, aber wir kommunizieren, weil sie in mir existiert. Besonders, als ich diesen Film gemacht habe, verstand ich, dass wir nicht mit Wörtern sprechen, sondern in der Stille. Es gibt da keinen Unterschied mehr zwischen Stille und Gespräch.

Mit dem Regisseur von »Black Notebooks« sprach Knut Elstermann.

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