Nachschlagewerk

»Ein wissenschaftliches Abenteuer«

Herausgeber Dan Diner Foto: Chris Hartung

Es ist vollbracht. Fast zehn Jahre harter wissenschaftlicher und redaktioneller Arbeit liegen hinter den Machern der Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). In sechs Bänden sowie einem Registerband erschließen 550 Experten aus zahlreichen Ländern in knapp 800 Einträgen jüdische Lebenswelten in Europa, Amerika sowie Nordafrika und dem Vorderen Orient in den Jahren von 1750 bis 1950.

»Es ist gleichsam die Kernzeit jüdischer Geschichte«, wie der Herausgeber Dan Diner, langjähriger Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig, betont. »Die zeitliche Spanne reicht vom Beginn der Emanzipation und dem Eintritt der Juden in die Moderne bis hin zur Katastrophe der Schoa und ihren unmittelbaren Nachwirkungen.«

Grund genug für die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, gemeinsam mit der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, die das Enzyklopädie-Projekt in Auftrag gegeben hatte, das Ergebnis und die Machart näher unter die Lupe zu nehmen und einem interessierten Publikum im Rahmen eines Kolloquiums am vergangenen Donnerstag zu präsentieren.

sprache »Die Enzyklopädie war ein wissenschaftliches Abenteuer«, bringt es Diner auf den Punkt. »Zugleich stellt sie auch eine Grenzüberschreitung dar.« Denn bei dem Unternehmen handelt es sich um das erste Werk seiner Art seit der in den 20er-Jahren begonnen Encyclopedia Judaica, die ihr Erscheinen aber 1934 unvollendet einstellen musste. »Und das ausgerechnet in deutscher Sprache – also dem jüdischen Idiom des 19. Jahrhunderts schlechthin.«

Deutsch war die Sprache der Wissenschaft des Judentums, weltweit zudem die lingua franca der gebildeten aschkenasischen Juden. »Doch durch die Geschichte ist sie schwer beschädigt worden« – quasi kontaminiert, weshalb nicht selten viel Überzeugungsarbeit nötig war, Experten im Ausland für eine Teilnahme an dem Projekt als Autoren zu gewinnen.

Dass nun der erste Band ebenfalls in englischer Übersetzung vorliegt und der wissenschaftliche Gegenstand – die jüdische Geschichte und Kultur – über die deutsche Sprache sich erneut international verbreitet, kann deshalb zu Recht als ein epochales Ereignis bezeichnet werden.

Konzept Unkonventionell war denn auch das Konzept der Enzyklopädie. Personenbezogene Artikel lassen sich keine finden, was aber nicht bedeutet, dass das Biografische zu kurz kommt. Im Vordergrund stehen vor allem jüdische Erfahrungsgeschichten in der Moderne, in der Juden oftmals – freiwillig oder nicht – die Rolle von Seismografen zukommt. Beleuchtet wird das Ganze aus transnationaler sowie pluralistischer Perspektive, weil dadurch auch deutlich wird, dass jüdische Geschichte alles andere als eine reine Nischenhistorie ist.

Yfaat Weiss, die derzeitige Leiterin des Simon-Dubnow-Instituts, macht das Konzept an einem Beispiel exemplarisch sichtbar: »Unter dem Lemma ›Zion‹ findet sich überraschenderweise eine Menge zu Jerusalem.«

Doch es geht nicht einfach nur um Ereignisse zur Stadtgeschichte. »Vielmehr dreht sich alles um ein doppeltes Jerusalem, das sowohl die Stadt als religiöse Metapher aufgreift, als auch ihre säkulare Bedeutung erfasst. Das macht dann im Text der Verweis auf das Lemma zum Thema ›Staatsräson‹ deutlich.« Innerhalb der Lemmata wird immer wieder auf andere im Kontext stehende Orte oder Begriffe verwiesen, die ebenfalls behandelt werden.

Arche Noah
Das wirft natürlich auch die Frage nach den Bauformen des historischen Erzählens und die Auswahl der Denkfiguren in einer Enzyklopädie auf. »Sie gleicht einer Arche Noah, die vieles aufbewahrt und rettet«, meint dazu der emeritierte Jurist und Rechtshistoriker Michael Stolleis. »Ihre Lektüre kann deshalb auch ein Rätselspiel sein, weil man manches erwartet, aber oftmals über die Auswahl und Präsentation dann doch überrascht ist.«

Aber das Akademieprojekt aus Leipzig ist viel mehr als das. »Sie ermöglicht zahlreiche Aha-Erlebnisse«, so Stolleis. Der Leser wird auf eine intellektuelle Reise geschickt, von der er wünscht, dass sie niemals enden wird.

Berlin

»Berlin verneigt sich«

Zwei Monate nach ihrem Tod wird die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer in Berlin gewürdigt. Der Bundespräsident mahnt vor Politikern und Weggefährten, das Erbe der Jahrhundertfrau weiterzutragen

von Alexander Riedel  09.07.2025 Aktualisiert

Zahl der Woche

4275 Personen

Fun Facts und Wissenswertes

 09.07.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Studieren in Wien, Mampfen im neunten Bezirk

von Margalit Edelstein  09.07.2025

Psychologie

Modell für die Traumaforschung

Die Hebräische Universität veranstaltet eine Konferenz zu seelischer Gesundheit in Kriegszeiten

von Sabine Brandes  09.07.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 10. Juli bis zum 18. Juli

 09.07.2025

Musikbranche

»Schmähungen allein verbrauchen sich schnell«

Marek Lieberberg gehört zu den größten Konzertveranstaltern Europas. Der 79-Jährige über den Judenhass auf internationalen Musikfestivals, die 1968er und Roger Waters

von Sophie Albers Ben Chamo  09.07.2025

Berliner Philharmonie

Gedenkfeier für Margot Friedländer am Mittwoch

Erwartet werden zu dem Gedenken langjährige Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter, Freundinnen und Freunde Friedländers sowie Preisträgerinnen und Preisträger des nach ihr benannten Preises

 08.07.2025

Berlin

Die Tänzerin ist Raubkunst

Heinrich Stahl musste die Statue während der NS-Zeit unter Zwang verkaufen. 1978 geriet sie an das Georg Kolbe Museum. Jetzt erheben Erben Vorwürfe gegen die Direktorin

von Ayala Goldmann  08.07.2025

Andrea Kiewel

»Sollen die Israelis sich abschlachten lassen?«

Die »Fernsehgarten«-Moderatorin äußert sich im »Zeit«-Magazin erneut deutlich politisch zu ihrer Wahlheimat

 08.07.2025