Bildung

Ein Ort des »Dazwischen«

Akademie bei Nacht: Großmarkthalle mit Libeskind-Anbau Foto: Gregor Zielke

Drei große Kuben, die an die Arche Noah und die Bundeslade erinnern, hat Daniel Libeskind in die bestehende Blumengroßmarkthalle gegenüber des Jüdischen Museums integriert und so den Eric-F.-Ross-Bau geschaffen. Darin findet die Jüdische Akademie als Erweiterung des Museums Platz. Am Samstag wurde sie eingeweiht.

Libeskind erklärte sein Konzept auf der feierlichen Eröffnung so: Die drei Kuben sollen »Wissensspeicher« sein. In einem Kubus finden Archiv und Bibliothek des Jüdischen Museums und der Akademie Platz. Das Archiv wurde zu großen Teilen aus Nachlässen aufgebaut – Urkunden, Tagebücher und Memoiren dokumentieren das öffentliche und private jüdische Leben vor allem in Berlin, aber auch überregional. Die Sammlung konzentriert sich auf den Zeitraum zwischen Kaiserreich und NS-Zeit. Auch Material aus dem Leo Baeck Institute New York – etwa der Nachlass von Franz Rosenzweig – und der Wiener Library befindet sich im Archiv.

Bibliothek Über 70.000 Einheiten verfügt die wochentags geöffnete Bibliothek, von denen 40.000 für Forschende, Lehrende und die Öffentlichkeit frei zugänglich sind. Dazu gehören auch eine Sammlung von hebräischen und jiddischen Büchern aus Deutschland und die Veröffentlichungen der 1924 in Berlin gegründeten »Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches«, von denen einige jüngst in der »Transit Berlin«-Ausstellung gezeigt wurden.

An der Fassade der Akademie steht, in fünf Sprachen, ein Satz von Moses Maimonides: »Höre die Wahrheit, wer sie auch spricht.« Das Museum stellt diesen Leitspruch bewusst »engen und orthodoxen Sichtweisen« entgegen. Thema der Arbeit der Akademie sollen nicht nur jüdisches Leben oder jüdische Zukunft sein. Staatsminister Bernd Neumann sagte bei der Eröffnung, dass die Darstellung deutsch-jüdischer Geschichte eine »nationale Aufgabe« sei, und fügte hinzu, dass man sich ausgehend von diesen Erfahrungen den Themen der Migration in Deutschland stellen sollte. Direktor W. Michael Blumenthal fasst den Auftrag so zusammen: »Uns geht es darum, wie in einem Land im 21. Jahrhundert Menschen unterschiedlicher Herkunft friedlich zusammenleben können.«

So versucht die Diskussionsreihe »Visionen der Zugehörigkeit« einen Dialog zur Zukunft der heterogenen deutschen Gesellschaft zu öffnen. Im ersten Gespräch werden Kulturschaffende wie der Regisseur Dani Levy und Sermin Langhoff, künftige Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters, über ihr Deutschlandbild reden.

Jüdisch-Islamisch Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem interreligiösen Dialog. Das Jüdische Museum hat seine erste Schulpatenschaft – für eine integrierte Sekundarschule in Kreuzberg – übernommen und wird in der Akademie verstärkt Lehrerfortbildungen anbieten. Für die nahe Zukunft ist ein Jüdisch-Islamisches Forum geplant, das gemeinsame »Modernisierungstheorien« verhandeln soll.

Auch deswegen ist Moses Maimonides als Mottostifter sehr klug gewählt: Schließlich wurde der nach Rashi vermutlich wichtigste jüdische Gelehrte des Mittelalters im arabischen Exil auch von muslimischen Denkern beeinflusst. Diese Verbindungen wurden in einem Eröffnungskolloquium unter anderem von Sari Nusseibeh, Präsidentin der Al-Quds-Universität Jerusalem, und George Y. Kohler von der Bar-Ilan-Universität beleuchtet.

stipendiatin Für die konkrete Forschungsarbeit an der Akademie wurde das »JMB Fellowship Program« gestartet. Erste Stipendiatin ist Karen Körber von der Goethe-Universität Frankfurt. Die Soziologin arbeitet an einer Studie zur Untersuchung der »Lebenswirklichkeiten der zweiten und dritten Generation eingewanderter russischsprachiger Juden in Deutschland«, deren Entstehung von der Akademie durch Vorträge und Veranstaltungen begleitet wird. Zu Körbers Arbeitsfeldern gehört die Herausbildung von politischer Ethnizität, sodass sich auch hier Anknüpfungspunkte für einen Dialog zu Heterogenität in der deutschen Gesellschaft insgesamt finden lassen.

In die Decke des Eingangskubus sind die Buchstaben Aleph und Bet eingelassen – die Akademie soll, laut Libeskind, ein Ort des »Dazwischen« werden. Tatsächlich fährt sie eine klare Linie: lebendiger Universalismus ohne allzu partikularistische Ecken.

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