Berlinale

Ein guter Jahrgang für Israel

Ob Benjamin Netanjahu nun eine Postkarte an Dieter Kosslick geschrieben hat oder nicht, kann den Fans des israelischen Kinos bei der Berlinale ziemlich egal sein. Denn sie sind wieder da – die israelischen Spielfilme, die in den vergangenen Jahrgängen des Filmfestivals immer wieder schmerzlich vermisst wurden. Insgesamt elf Produktionen Made in Israel werden bei den 69. Internationalen Filmfestspielen Berlin gezeigt. Zusätzlich nehmen zahlreiche junge Israelis am Filmförderprojekt Berlinale Talents teil.

Insofern scheint das Schreiben, das Netanjahu laut Medienberichten bei den deutsch-israelischen Regierungskonsultationen im Oktober 2018 an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) übergeben hat, die Präsenz des israelischen Films bei der Berlinale nicht tangiert zu haben.

PANORAMA In dem Brief wurde die deutsche Regierung aufgefordert, die Förderung unter anderem für die Berlinale davon abhängig zu machen, dass keine BDS-Aktivisten eingeladen oder unterstützt werden. Bei der Programmpressekonferenz punktete der scheidende Festivalleiter Kosslick bei den Journalisten mit dem Statement, er könne sich vorstellen, dass Netanjahu »die Filme nicht mag, die wir spielen. Aber das interessiert uns eigentlich nicht so sehr. Er macht ja auch Sachen, die wir nicht mögen«.

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Wie auch immer, die Chance, dass die Zuschauer die Filme mögen, stehen jedenfalls gut. Denn die Nebenreihe Panorama zeigt gleich drei interessante und aus unterschiedlichen Gründen sehenswerte Spielfilme von israelischen Regisseuren. Und diesmal laufen auch zwei Filme von Israelis im offiziellen Wettbewerb der Berlinale.

Zwei Filme von Israelis laufen im Wettbewerb, drei weitere im Panorama.

Wettbewerb Um den Goldenen Bären für den besten Film konkurriert Synonymes von Nadav Lapid (Frankreich/Israel/Deutschland), dessen Terror-Thriller Po­liceman vor mehreren Jahren bei der Berlinale gezeigt wurde. Held von Synonymes ist Yoav, ein junger Israeli, der seine Herkunft »auslöschen« und Franzose werden will. In Paris legt er die hebräische Sprache ab, geht seinen Landsleuten aus dem Weg und versucht, sich eine neue Identität zuzulegen. Angekündigt wird der Film als »tragikomisches Puzzle, das seine Geheimnisse klug zu hüten weiß«.

Außer Konkurrenz im Wettbewerb läuft The Operative (Die Agentin) von Yuval Adler (Deutschland/Israel/Frankreich/USA) mit Diane Kruger und Martin Freeman. In dem Spionagethriller des Regisseurs, der 2013 für einen Film desselben Genres, Bethlehem, beim Filmfestival von Venedig ausgezeichnet wurde, geht es um eine Mossad-Agentin namens Rachel, die undercover in Teheran agiert und von ihrer Kontaktperson aus Deutschland zurückgeholt werden soll. Diane Kruger spielt die Hauptrolle in der Romanverfilmung von The English Teacher, dem Buch des ehemaligen Leiters von Spezialeinheiten der IDF, Yiftach Reicher Atir.

»Skin« von Guy Nattiv erzählt die Geschichte des US-Skinheads Bryon Widner nach.

Panorama In der Nebenreihe Panorama wird Skin von Guy Nattiv (ein israelischer Regisseur, der in den USA lebt) wohl am meisten Aufsehen erregen. Der spektakuläre Spielfilm erzählt die wahre Geschichte des amerikanischen Skinheads Bryon Widner nach, der sich mithilfe des afro-amerikanischen Aktivisten Daryle Lamont Jenkins von seinen in der »Viking«-Bewegung aktiven Stiefeltern lossagt und aus der rechtsextremen Szene aussteigt.

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Der US-Film basiert auf der gleichnamigen Kurzversion Skin, der mit einer Länge von 20 Minuten für den diesjährigen Oscar in der Kategorie »Best Live-Action Short« nominiert ist. Die Stärke des Films liegt weniger in der Ausleuchtung der rechtsextremen Szene in den USA durch den Regisseur als in seinem Talent, den Zuschauer in die Gefühlswelt Widners hineinzuversetzen.

Nach Jahren von Gewalt- und Alkoholexzessen sehnt sich der Ganzkörpertätowierte nach einer eigenen Familie – und will Schluss machen mit Brandanschlägen auf Menschen. Schließlich lässt er seine Nazi-Tattoos weglasern. Aktivist Jenkins sagte beim Internationalen Filmfestival Toronto über Skin und den Aufschwung des Rechtsextremismus in den USA: »Das Wichtigste, was wir von diesem Film lernen, ist, wie viel Menschlichkeit in uns allen steckt – egal, wie bösartig oder wie liebenswürdig wir sein mögen.«

 

Der Film »Who will Write Our History« über das Ringelblum-Archiv im Warschauer Ghetto wird erneut gezeigt.

Mit den israelischen Produktionen Eynayim Sheli (»Meine Augen«) und The Day After I’m Gone präsentiert die Reihe Panorama israelisches Kino par excellence: eindringliche Schilderungen privater Tragödien, die gesellschaftliche Probleme aufzeigen. Yaron Shani, Regisseur des Oscar-nominierten Jaffa-Dramas Ajami, arbeitet auch in Eynayim Sheli, dem zweiten Teil seiner Liebestrilogie nach Stripped, wieder mit Laiendarstellern.

Sein Held ist der Polizist Rashi, der wegen angeblicher sexueller Belästigung vom Dienst suspendiert wird, was die Beziehungskonflikte mit seiner Frau verschärft: ein Einzelkämpfer, der in einer sich zunehmend politisch korrekt gerierenden Welt für wirkliche Werte einsteht – bis er an seinen eigenen Ansprüchen zerbricht.

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BDS The Day After I’m Gone, der Debütfilm von Nimrod Eldar, schildert den Konflikt zwischen Yoram, einem Tierarzt, und seiner 17-jährigen Tochter Roni. Erst deren Suizidversuch und ein offenes Gespräch in der Familie führen zum Aufbrechen von unterdrückten Gefühlen. Beiläufig schildert der Film die Probleme von Israelis, die jenseits der Grünen Grenze eine Firma gegründet haben und die wirtschaftlichen Folgen von BDS zu spüren bekommen. Um das zu verstehen, muss man die Protagonisten weder mögen noch ihre Meinungen teilen.

Anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Jerusalem Sam Spiegel Film School (JSFS) präsentiert die Jugendsektion Generation ein spezielles Programm: Gezeigt werden sechs Kurzfilme aus den Jahren 1997 bis 2015. Und in der Reihe Berlinale Series findet sich False Flag 2 von Oded Ruskin über die Ermittlungen nach einer Bombenexplosion nach der Einweihung einer Ölpipeline zwischen Israel und der Türkei.

»jüdisches« In der Sektion Retrospektive reflektiert Jeanine Meerapfel, als Tochter deutsch-jüdischer Eltern in Bue­nos Aires geboren, in ihrem Spielfilmdebüt Malou (1981, jetzt digital restauriert) ihre eigene Geschichte. Ferner wird Who Will Write Our History von Roberta Grossman über das Geheimarchiv von Emanuel Ringelblum im Warschauer Ghetto bei der Berlinale erneut gezeigt.

Zum Schluss der Programmpressekonferenz outete sich Kosslick als Gematria-Experte.

Ob man in der restaurierten Fassung der Westernkomödie Destry Rides Again (Der große Bluff) von 1939 mit Marlene Dietrich (Berlinale Classics) Anspielungen auf die NS-Zeit erkennen kann, bleibt jedem selbst überlassen. Und die Verfilmung des Romans Die Kinder der Toten von Elfriede Jelinek im Forum wartet mit einer Nazi-Witwe und Blasmusik auf.

Als Gematria-Experte outete sich Kosslick zum Schluss der Programmpressekonferenz in der vergangenen Woche: In der jüdischen Numerologie bedeute die Zahl 18 »Glück und Geld«, meinte er. Nach 18 Jahren freue er sich, »dass das ein schönes Ende der Berlinale ist – jedenfalls für mich«. Da kann man ihm und dem israelischen Kino nur alles Gute und »Chai« wünschen: Möge es bei der 70. Berlinale genauso lebendig weitergehen!

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