Rezension

Drei Zentner Mamme

Foto: Schöffling & Co.

Rezension

Drei Zentner Mamme

Jami Attenbergs »Die Middlesteins«

von Harald Loch  09.03.2015 18:35 Uhr

Familie wiegt schwer. Am schwersten in der jüdischen Familie der Middlesteins wiegt Edie, früher Anwältin, dann Ehefrau, Mutter und Großmutter dieser in Chicago ansässigen Familie. Edie isst zu viel, sie isst für ihr Leben gern und eigentlich mit dem Tod um die Wette. Wie jede Wette mit dem Tod wird sie sie verlieren.

Vorher wird sich Edies Mann Richard, mit dem sie über 30 Jahre lang verheiratet war, von ihr scheiden lassen. Ihre gemeinsame Tochter Robin, immer noch Single, hält Distanz zu den Eltern. Sohn Benny ist in der Situation eher hilflos, und seine Frau Rachelle will unbedingt ihre Schwiegermutter vom Fresswahn abbringen.

trennung
Ihrem Schwiegervater verbietet sie das Haus, weil sie dessen Trennung von seiner inzwischen auf 150 Kilo angewachsenen Frau für unanständig hält. Der Großvater darf keinen Kontakt mehr zu seinen Enkeln, den Zwillingen Emily und Josh haben, die vor ihrer Bar- und Batmizwa stehen.

Das ist die Konstellation, in der Jami Attenberg ihren Familienroman Die Middlesteins entwickelt. Sie nimmt ihre Leser mit in die Familie und in die Synagoge, sie begleitet die schwergewichtige Edie auf ihren Fresstouren, und man lernt die menschlichen Qualitäten dieser klugen Drei-Zentner-Frau kennen.

Ihr Mann, der es mit ihr nicht mehr aushält, betreibt eine letzte von ehemals drei Apotheken, deren Kundschaft überwiegend aus älteren jüdischen Bewohnern des Viertels besteht. Die typischen Streitigkeiten in einer Familie bieten der Autorin die Plattform zur Ausbreitung von Humor und Lebensweisheit.

trauerfeier Sie schreibt an der Oberfläche flüssig und unterhaltsam. Erst nach und nach dringt der immer noch zuweilen komische existenzielle Ernst durch diese Oberfläche. Am Ende sind alle zur Trauerfeier um das Schwergewicht der Familie versammelt.

Attenberg schreibt ihren Roman nicht auf einen Plot hin und überrascht ihr Publikum mit menschlichem Verständnis von unerwarteter Seite. Als man sich mit diesem versöhnlichen Ende arrangiert hat, setzt sie noch eine wunderschöne Knospe der empfindlichen Pflanze Humanität darauf. Das ist herzerwärmend ohne jeden Anflug von Kitsch – ein schöner jüdischer Roman, typisch Amerika, nicht intellektuell, aber sehr intelligent, nicht elegant, aber voll sprachlichem, zuweilen auch traurigem Charme.

Jami Attenberg: »Die Middlesteins«. Roman. Aus dem Englischen von Barbara Christ. Schöffling, Frankfurt/Main 2015, 264 S., 21,95 €

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  30.04.2025

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025