Kassel

documenta: Kein Verhaltenskodex für Künstlerische Leitung

Die documenta fifteen 2022 war von Antisemitismus-Skandalen überschattet. Foto: picture alliance/dpa

Die nächste Künstlerische Leitung der documenta wird sich nicht auf einen Verhaltenskodex verpflichten müssen. Das teilte eine Sprecherin am Dienstagabend nach einer Tagung des Aufsichtsrats mit. Die Frage nach Verhaltenskodexen ist ein Resultat der Antisemitismus-Skandale bei der documenta von 2022.

Eine Managementberatung hatte die Vorfälle aufgearbeitet und Handlungsempfehlungen vorgelegt. Nun hat der Aufsichtsrat Beschlüsse zu zentralen Empfehlungen gefasst – und ist ihnen in zwei wichtigen Punkten nicht gefolgt.

Ein Verhaltenskodex ist eine Sammlung von Verhaltensweisen, die für die Mitarbeiter eines Unternehmens gelten. Solche Kodexe für Geschäftsführung und Künstlerische Leitung waren unter den Empfehlungen der Berater, um künftige Eklats zu vermeiden. Nun soll nur die Geschäftsführung einen solchen erstellen und sich darauf verpflichten müssen.

Öffentliche Vorstellung statt Verhaltenskodex

Die neue Künstlerische Leitung soll hingegen frühzeitig in einer öffentlichen Veranstaltung ihr künstlerisches Konzept vorstellen und dabei auch darlegen, »welches Verständnis sie von der Achtung der Menschenwürde hat und wie deren Wahrung auf der von ihr kuratierten Ausstellung sichergestellt werden soll«, teilte die Sprecherin der Documenta und Museum Fridericianum gGmbH am Dienstagabend mit.

Gegen einen Verhaltenskodex für die Künstlerische Leitung hatte sich Widerstand geregt. So sah etwa die Initiative »#standwithdocumenta« dadurch die Kunstfreiheit gefährdet. Eine von ihr initiierte »Petition gegen Versuche politischer Einflussnahme auf die documenta« unterschrieben seit Ende Januar mehr als 4000 Menschen.

Die »documenta fifteen« war 2022 von Antisemitismus-Eklats überschattet worden. Schon im Vorfeld waren Stimmen laut geworden, die dem indonesischen Kuratorenkollektiv ruangrupa und einigen eingeladenen Künstlern eine Nähe zur antisemitischen Israel-Boykottbewegung BDS vorwarfen – zu Recht, wie sich später herausstellte.

Kurz nach der Eröffnung der Schau wurde eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt und abgehängt. Später lösten weitere antisemitisch konnotierte Werke scharfe Kritik und Forderungen nach einem Abbruch der Ausstellung aus. Das Kuratorenteam reagierte mit Rassismusvorwürfen gegen die Kritiker.

Auch um die kommende Documenta im Jahr 2027 gab es bereits Wirbel. Nach Antisemitismus-Vorwürfen gegen ein Mitglied der Findungskommission für die 16. Ausgabe war zunächst dieses Mitglied und später die gesamte Findungskommission zurückgetreten. Wann der Findungsprozess für eine Künstlerische Leitung neu gestartet wird, blieb zunächst unklar.

Andreas Hoffmann, Geschäftsführer der documenta und Museum Fridericianum gGmbH sagte am Dienstagabend: »Ich bin überzeugt, dass wir mit dem nun beschlossenen Werkzeugkasten bestens aufgestellt sind, um mit großen Schritten auf die documenta 16 zuzugehen. Die erste Maßnahme ist, jetzt sehr schnell die Internationale Findungskommission aufzustellen.«

Der Aufsichtsrat wird entgegen den Vorstellungen der Berater nicht verkleinert

Der Aufsichtsrat wird entgegen den Vorstellungen der Berater nicht verkleinert. Die documenta teilte dazu mit: »Auf diese Weise sollen die Stadt Kassel und das Land Hessen angemessen vertreten sein. Zwei Vertreter*innen des Bundes werden in den Aufsichtsrat als vollwertige Mitglieder mit Stimmrecht aufgenommen.«

Andere Empfehlungen der Berater haben die Gremien der documenta und Museum Fridericianum gGmbH übernommen. So wurde unter anderem beschlossen, einen aus sechs Personen bestehenden wissenschaftlichen Beirat einzurichten und die oder den Vorsitzenden als beratendes Mitglied ohne Stimmrecht in den Aufsichtsrat aufzunehmen.

Der Aufsichtsratsvorsitzende und Oberbürgermeister der Stadt Kassel, Sven Schoeller, sieht in den getroffenen Beschlüssen ein wirksames »Instrumentarium zum Schutz künstlerischer Freiheit und zum Schutz gegen menschenfeindliche Diskriminierung und Antisemitismus«, wie er mitteilte. dpa/ja

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert