Oper

Doch die Verhältnisse, sie sind halt so …

Bewegliche Wände im Bühnenbild in Dessau Foto: Claudia Heysel

Der traditionelle Beitrag des Anhaltischen Theaters in Dessau zum aktuellen Kurt Weill Fest stammt zwar nicht vom Namensgeber des Festivals, aber Alexander Zemlinskys König Kandaules passt allemal zum aktuellen Motto. »Im Zeichen des Umbruchs« meint die Zeit von Aufbruchs- und Untergangsstimmung zwischen den beiden Weltkriegen des vorigen Jahrhunderts.

Zemlinsky konnte sich 1938 aus Deutschland in die USA retten und starb 1942 in New York. So wurde auch die Ins­trumentierung seiner 1935/36 begonnenen Oper Der König Kandaules erst in den 90er-Jahren von Antony Beaumont für die Uraufführung an der Hamburgischen Staatsoper 1996 vollendet.

In der von André Gide aus diversen Überlieferungen destillierten und vom Komponisten selbst zum Libretto umgemodelten Geschichte gibt es einen in einem Fisch geborgenen Zauberring, der – wie sich herausstellt – unsichtbar macht.

LIEBESNACHT Der Clou ist dessen Verwendung für eine Liebesnacht, in der der Fischer Gyges, der ihn samt Fisch gefangen hatte, der Frau des Königs Kandaules, Nyssia, die schönste Nacht ihres Lebens bereitet. Die Entdeckung dieses Rings im Fisch war der Anlass für den König, Gyges an seinen Hof einzuladen. Als Gyges der Königin diesen Betrug beichtet, fordert sie ihn auf, den König zu töten und dessen Platz an ihrer Seite und im Reich einzunehmen. Was tatsächlich genauso passiert. Wozu ist man in einer Oper!

Regisseur Jacob Peters-Messer setzt auf ein kammerspielartiges Laborexperiment mit Anleihen am Brechtschen Verfremdungstheater.

Regisseur Jacob Peters-Messer erfindet keine üppige Palastwelt, sondern setzt auf ein kammerspielartiges Laborexperiment mit Anleihen am Brechtschen Verfremdungstheater und überzeugt damit. Wir erleben einen Diskurs zweier Männer mit einem voremanzipatorischen, geradezu archaisch fundamentalistischen Frauenbild.

Die Frau des Fischers (die ihn »Meister« nennt) flieht in ein Verhältnis mit einem Höfling. Als der damit prahlt, ersticht der Fischer seine Frau vor aller Augen. Die Frau des Königs, Nyssia, billigt das, weil sie die Gleichsetzung von Treue- und Besitzanspruch teilt. Auch ihre Reaktion auf die als Treuebruch ihres Mannes empfundene Liebesnacht mit Gyges ist nicht ihr Tod, sondern der ihres Gemahls.

BEFREIUNG Es ist ein seltsames Gefühl, sich heutzutage bis kurz vor dem Finale in einem parallelen Moraluniversum wiederzufinden. Erst die Schlusspointe, mit der Zemlinsky Gide korrigiert, deutet eine Befreiung daraus an. Auch Gyges will als neuer König seine Frau nur für sich, also verschleiert. Doch die behält das letzte Wort: »Für euch – verschleiert? Kandaules hat meinen Schleier zerrissen!« Auch die bis dahin gesichtslos schwarz maskierten Helferinnen auf der Bühne reißen sich effektvoll die Masken vom Gesicht. Eine Befreiung? Vielleicht.

In der nüchternen Bühne von Guido Petzold schummeln die Kostüme von Sven Bindseil Sinnlichkeit in die Szene. Der arme Fischer Gyges tritt zunächst in Arbeitskluft auf. Doch je mehr ihn Kandaules für die eigene Selbstbespiegelung vereinnahmt, passt er sich dessen Habitus an.

Musikalisch ist König Kandaules ein Meisterwerk im Schatten von oder neben Richard Strauss. Es ist faszinierend, mit welcher Präzision und Sinnlichkeit Markus L. Frank und seine Anhaltische Philharmonie die flirrende, erotisch aufgeladene Opulenz dieser Musik treffen und damit in den Bann ziehen.

Tilman Unger (als imponierend konditionsstarker Kandaules), Iordanka Derilova (als eine gegen Ende geradezu explodierende Nyssia) und Kay Stiefermann (als charismatisch herber Gyges) führen ein Ensemble mit Festspielqualität an. Und so fragt man sich auch nach dieser gelungenen und unbedingt zu empfehlenden Neuinszenierung: Warum wird diese Oper nicht öfter gespielt? Dann wären vielleicht nicht Plätze frei geblieben wie jetzt in Dessau. Die gute Nachricht: Vier Vorstellungen gibt es noch!

Die Oper wird erneut am 5. und 25. März sowie am 2. und 6. April gezeigt.

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  15.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025

Kolumne

Hineni!

Unsere Autorin trennt sich von alten Dingen und bereitet sich auf den Winter vor

von Laura Cazés  13.11.2025

Zahl der Woche

-430,5 Meter

Fun Facts und Wissenswertes

 12.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 13. November bis zum 20. November

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025