Medizin

Die letzte Rettung

In einem Feldlazarett, das die israelische Armee auf den Golanhöhen für die Versorgung syrischer Zivilisten errichtet hat, die im Bürgerkrieg verwundet wurden. Foto: Government Press Office

Es waren Tausende, die an die israelische Grenze kamen und um Hilfe baten. Für viele Schwerstverletzte war es die letzte Rettung. Während der blutige Bürgerkrieg in Syrien tobte, suchten verwundete und kranke Menschen Hilfe beim Nachbarn – dem »Feind«. Denn Israel und Syrien befinden sich offiziell noch immer im Kriegszustand.

Trotzdem behandelte Israel die Opfer des Krieges von Februar 2013 bis Dezember 2018 in einer beispielhaften humanitären Aktion kostenlos mit hochwertigster Medizin in den Krankenhäusern im ganzen Land. Viele der Menschen hatten schwerste Verletzungen von den Kämpfen davongetragen, verloren oft Gliedmaßen und benötigten umfassende Plastische Chirurgie.

Es wurden keine Fragen gestellt, zu welcher Seite der Betreffende gehört, keine Rechnungen geschrieben. Erst wenn ein Patient vollständig genesen war, wurde er in seine Heimat zurückgeschickt. Einige blieben mehrere Monate in Hospitälern und Rehabilitation. Mehr als 40 syrische Babys sind in dieser Zeit in Israel geboren worden.

GELEGENHEIT Darüber hinaus ermöglichte diese außergewöhnliche Hilfe eine umfassende Studie zu einem Thema, das sonst wohl kaum zu analysieren gewesen wäre. Durch die medizinische Behandlung der Opfer des Bürgerkriegs erkannten die Wissenschaftler der Azrieli-Fakultät für Medizin an der Bar-Ilan-Universität in Zusammenarbeit mit dem Galil Medical Center (GMC), dass verspätete chirurgische Eingriffe nach Verletzungen das Ergebnis verbessern könnten.

Manche Patienten mussten bis zu einem Monat auf die Behandlung in Israel warten.

In Übereinstimmung mit der Regierung taten sich die israelische Armee (IDF), die militärischen Medizincorps und verschiedene Krankenhäuser – anfangs vor allem im Norden des Landes – zusammen, um Tausende von syrischen Verwundeten zu behandeln und deren Leben zu retten. Die Logistik, die Verletzten aus dem Kriegsgebiet und nach Israel zu transportieren, gestaltete sich auch deshalb als äußerst komplexes Unterfangen, weil Israel und Syrien keinerlei diplomatische Beziehungen unterhalten.

Die meisten wurden nach Angaben der Bar-Ilan-Universität innerhalb von 24 Stunden nach der Verwundung ins GMC gebracht. Doch andere mussten zwei Wochen oder sogar bis zu einen Monat leiden, bis sie es schließlich über die geschlossene Grenze nach Israel schafften.

EINBLICK Diese Unterschiede beim Beginn der Behandlung bot den Medizinern des Hals-Nasen-Ohren-Bereichs sowie der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichts­chirurgie »einen seltenen Einblick, wie sich diese Verzögerung auf das Ergebnis der Behandlung auswirkte«, beschreibt es die Universität.

In der Studie, die in der renommierten Fachzeitschrift »Scientific Reports« veröffentlicht wurde, resümieren die israelischen Wissenschaftler, dass es bei Patienten, deren Gesichtsknochen durch Schüsse aus Schnellfeuerwaffen verletzt worden waren, weniger Komplikationen nach der Operation gab, wenn die Behandlung erst zwei bis vier Wochen nach der Verwundung erfolgte. Verglichen wurden sie mit Patienten, die eine sofortige chirurgische Behandlung (bis zu 72 Stunden nach der Verletzung) erhielten. Diese Erkenntnis sei für die Ärzte überraschend gewesen.

Sauerstoffversorgung Die Mediziner gehen davon aus, dass der Grund dafür die »kritische Zeitspanne vor der Operation« sei, die den Heilungsprozess erleichtert, indem währenddessen neue Blutgefäße im Bereich der Wunde gebildet werden. Dadurch gebe es eine Verbesserung der Blut- und Sauerstoffversorgung und somit eine Verringerung des Auftretens von Komplikationen.

Der Leiter der Studie, Samer Srouji von der Medizinischen Fakultät der Bar-Ilan-Universität und Chef der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am GMC, erfand gemeinsam mit seinen Kollegen sogar einen neuen Begriff für dieses Phänomen: »kritische Gefäßneubildungsperiode«.

»Wir sind überzeugt, dass dieser Vorteil von der Gefäßneubildung kommt«, erklärt Srouji, »also der Formation und der Heilung von Blutgefäßen in dem verwundeten Bereich im Laufe der Zeit. Dies führt zu einer sanfteren Heilung.«

In der Zwischenzeit hatten sich neue Blutgefäße gebildet.

Die Studie würde zudem die bedeutende Verbindung zwischen der Forschung »am Patientenbett und im Labor« hervorheben. Derzeit arbeite das Team an verschiedenen 3D-Druckmethoden für ein Gerüst aus künstlichen Organen, um die ideale Sauerstoffanreicherung für Knochen- und schnelle Wundheilung zu optimieren.

SCHARFSCHÜTZEN Ein weiterer Abschnitt der Studie befasst sich mit Verwundeten, die von Scharfschützen getroffen oder durch andere Vorfälle verletzt wurden, die typisch für eine Kampfzone in einem Kriegsgebiet sind. Die Forscher entwickelten dafür ein spezielles Labormodell, das Schüsse simuliert. Daraus sammelten sie Daten, die sie mit der tatsächlichen Behandlung der verletzten Syrer verglichen.

Die Studie beweise, so die Wissenschaftler, dass die Verzögerung einer Operation, während der eine Gefäßneubildung im Gesichtsbereich stattfindet, die Ergebnisse der Behandlung verbessern kann, während sie gleichermaßen die Morbidität sowie Komplikationen im Anschluss verringert.

Die Ergebnisse der Studie, so die Bar-Ilan-Universität, sollte zu einer Überprüfung der heutigen Maßgaben für die Behandlung von kriegsbedingten Kopf- und Gesichtsverletzungen führen. Es sei allerdings noch nicht abschließend möglich, unmissverständliche Schlussfolgerungen zu ziehen, welches die optimale Zeitspanne ist, in der eine Operation durchgeführt werden sollte.

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  30.04.2025

Sehen!

»Der Meister und Margarita«

In Russland war sie ein großer Erfolg – jetzt läuft Michael Lockshins Literaturverfllmung auch in Deutschland an

von Barbara Schweizerhof  30.04.2025

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

von Niklas Hesselmann  30.04.2025

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025