Theater

Die Krise des Schlemihl

Carolin Haupt als Ärztin und Dimitrij Schaad als Filmemacher auf der Bühne Foto: Ivan Kravtsov

Sabotage von Yael Ronen in der Berliner Schaubühne ist ein witziger, spannender Theaterabend über jüdische Identität in Deutschland. Das Stück rezipiert die skandalöse Behauptung, dass Israel im Gaza-Krieg »Völkermord« begehe, hinterfragt sie aber zugleich – und das macht die Qualität des Stücks aus.

Im Mittelpunkt steht ein mäßig erfolgreicher Dokumentarfilmer. Höhepunkt seines bisherigen Schaffens ist ein Film über »ethisches Angeln«. Als unglücklichen jüdischen Schlemihl spielt ihn hinreißend der jüdische Schauspieler Dimitrij Schaad, der wie die von ihm dargestellte Bühnenfigur als sowjetischer Kontingentflüchtling mit seinen Eltern nach Deutschland gelangt ist, im Stück allerdings mit Umweg über Israel.

Auf der Bühne beginnt er (mit dem ausdrücklichen Hinweis »Ich bin Jude, ich darf das«) seinen Auftritt mit einem »Holocaust-Witz«. Ein Rabbiner, der seine ganze Familie in der Schoa verloren hat, wird von seinen Schülern gefragt, warum er denn meine, dass alles noch schlimmer hätte kommen können. Antwort: »Wir hätten die Täter sein können.«

Tiefe Sinnkrise eines Filmemachers

Die Vorstellung, dass dies nun tatsächlich passiert sei, hat den Filmemacher in eine tiefe Sinnkrise gestürzt, aus der er mit allen Mitteln herauszufinden versucht. Einerseits mithilfe einer Therapeutin, anderseits durch ein »geniales Filmprojekt«, einen Dokumentarfilm über den Philosophen und Denker Jeschajahu Leibowitz, der schon 1967 im Zusammenhang mit der Besetzung des Westjordanlandes durch Israel vor potenziellen »Judeo-Nazis« gewarnt hatte und zugleich überzeugter Zionist und Befürworter des jüdischen Staates war. Des Staates, den auch der Schlemihl, am Schluss eines sich fast irrwitzig komplizierenden Monologs, als letzte jüdische Lebensversicherung begreift, die – wie ihm sein israelischer Cousin nachdrücklich vorhält –, von den Israelis »mit ihrem Blut« verteidigt wird.

Er beklagt sich bei seiner Frau (Carolin Haupt), einer eleganten nichtjüdischen Blondine – als erfolgreiche Ärztin die eigentliche Ernährerin der Familie mit zwei Kindern, die nach dem 7. Oktober 2023 mitten im Schuljahr zur jüdischen Schule wechseln mussten –, dass er neuerdings von Bekannten ständig als »Belastungszeuge« gegen Israel angesprochen werde. Er, als Jude, müsse doch auch der Meinung sein, dass … Sie weist das als Projektion zurück.

Vom Leibowitz-Projekt ihres Mannes zeigt sich die Ärztin wenig begeistert, sie steht gerade vor ihrem größten und endgültigen Karriere-Sprung auf den Chefposten der Charité und will sich diese Chance nicht durch einen Skandal um einen »jüdischen Antisemiten« vermiesen lassen. Sie schlägt dem Gatten stattdessen einen Café-Besuch mit Kufiya vor.

Auch die Therapeutin ist keine wirkliche Hilfe

Auch die Therapeutin des Schlemihl (Eva Meckbach) ist keine wirkliche Hilfe: In einem starken Monolog outet sie sich als eine von ihrer Partnerin verlassene Lesbe, die ihrem jüdischen Patienten viel lieber wegen des israelischen Vorgehens in Gaza die Leviten lesen würde, als ständig seinen quälenden Selbstzweifeln zuhören zu müssen. Die Konflikte spitzen sich zu: Der Schlemihl bricht fast zusammen, als die Analytikerin die Therapie »pausieren« lassen will, während seine Frau ihm mit Scheidung droht, falls er das Leibowitz-Projekt verwirklichen sollte.

In einer dramatischen Begegnung erklärt die Therapeutin der Ehefrau des Filmemachers kurz und knapp, sie habe den Juden nur geheiratet, um »auf der richtigen Seite zu stehen«, und fühle sich nun doppelt geschlagen, da Israel vom »ewigen Opfer zum Täter« geworden sei. Für diese Einsicht fällt die dankbare Ärztin der Analytikerin um den Hals, worauf sich die beiden deutschen Frauen finden und der Schlemihl allein zurückbleibt, aber immerhin den Film über Leibowitz zustande bringen kann.

Nur leider bleiben die erhofften wie befürchteten heftigen Reaktionen, für die sich der jüdische Filmemacher sorgsam gerüstet hatte, trotz bester Sendezeit aus. Seine Arbeit wurde, einmal mehr, schlicht übersehen. Eine Sorge, die sich Yael Ronen und ihr vorzügliches Ensemble nicht zu machen brauchen.

Weitere Vorstellungen in der Berliner »Schaubühne« am 16., 17. und 18. Januar 2026

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