Interview

»Die Haggada gehört auch uns«

Etgar Keret Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Interview

»Die Haggada gehört auch uns«

Etgar Keret über neue Texte zu Pessach und die Verbindung zwischen Demokratie und Judentum

von Ayala Goldmann  05.04.2023 10:59 Uhr

Herr Keret, Sie haben mit Schriftstellern wie David Grossman, Yishai Sarid und Yehudit Rotem Texte für eine »Haggada der Freiheit« zu Pessach verfasst, die unter anderem von Benny Barbasch herausgegeben wurde. Warum gerade jetzt?
Bei der Geschichte des Auszugs aus Ägypten geht es um eine große Veränderung und eine Revolution, durch die Sklaven zu freien Menschen werden. Das Meer teilt sich – und alles, was wir bisher kannten, wird zu etwas anderem. Bisher kannten wir in Israel eine Situation, die schwierig war, aber konstant. Es gibt immer Konflikte – mit den Palästinensern, mit den Syrern und mit anderen. Doch jetzt, in der aktuellen politischen Situation, haben wir das Gefühl, dass sich die Lage jeden Moment ändern kann.

Was bedeutet Freiheit für Sie?
Für mich als Israeli und Jude bedeutet die Botschaft der Haggada vor allem, dass wir unsere Freiheit nicht als selbstverständlich ansehen dürfen. Das sagt für mich auch der Satz: »Erzähl es deinen Kindern.« Es ist jetzt das erste Mal, dass ich es erlebe, für meine Freiheit zu kämpfen. Werte wie Liberalität, Gleichberechtigung und Antidiskriminierung scheinen mir bedroht.

In der Haggada gibt es Bilder von Demonstrationen in Israel. Sehen Sie sich tatsächlich so, wie die Tradition es fordert, als ob Sie selbst aus Ägypten ausziehen?
Viele Jahre lang erschien mir die Haggada wie eine Geschichte mit verteilten Rollen. Auf einmal finde ich einen viel stärkeren und tieferen Zugang dazu. Die israelische Gesellschaft ist extrem gespalten. Die eher linken, gebildeteren, besserverdienenden Israelis sind gegen eine Revolution im Justizwesen, während der andere Teil der Bevölkerung eher dafür ist. Indem wir Säkulare die Haggada für uns in Anspruch nehmen, zeigen wir, dass wir auch die religiöse Seite in unser Anliegen einbeziehen.

Wie die israelische Fahne?
Ja, die Fahne wurde in den vergangenen Jahren eher von den Rechten gezeigt, etwa beim Flaggenmarsch durch Jerusalem. Jetzt sieht man sie verstärkt bei den Protesten. In diesen Tagen der Polarisierung wollen wir nun auch die Geschichte vom Auszug aus Ägypten aus unserer Perspektive erzählen. Der Text der Haggada darf laut religiösen Vorschriften nicht geändert werden. Doch wir wollen die Verbindung zwischen Judentum und Demokratie, zwischen Religion und Liberalität aufzeigen und deutlich machen: »Die Haggada gehört auch uns!«

Was hat Sie als Kind am meisten beim Pessach-Seder beeindruckt?
Es gibt in der Haggada eine Stelle, wo es heißt, dass die Berge tanzen. Das ist ein fröhliches Lied, aber es beschreibt eine Art Super-Erdbeben. Als Kind fand ich das lustig, aber heute klingt es für mich sehr gefährlich. Es ist besser, wenn es keine Erschütterung gibt, der Rechtsstaat stabil bleibt und das Oberste Gericht fest an seinem Platz steht.

Mit dem israelischen Schriftsteller sprach Ayala Goldmann.

Berlin

Mut im Angesicht des Grauens: »Gerechte unter den Völkern« im Porträt

Das Buch sei »eine Lektion, die uns lehrt, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten Menschen gab, die das Gute dem Bösen vorzogen«, heißt es im Vorwort

 17.09.2025

Israel

»The Sea« erhält wichtigsten israelischen Filmpreis

In Reaktion auf die Prämierung des Spielfilms über einen palästinensischen Jungen strich das Kulturministerium das Budget für künftige »Ophir«-Verleihungen

von Ayala Goldmann  17.09.2025

Berlin

»Stärker als die Angst ist das menschliche Herz«

Die Claims Conference präsentiert in einem Bildband 36 Männer und Frauen, die während der Schoa ihr Leben riskierten, um Juden zu retten

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Auszeichnung

Theodor-Wolff-Preis an Journalisten vergeben

Der Theodor-Wolff-Preis erinnert an den langjährigen Chefredakteur des »Berliner Tageblatts«, Theodor Wolff (1868-1943)

 17.09.2025

Los Angeles

Barbra Streisand über Dreh mit Robert Redford: »Pure Freude«

Mit dem Klassiker »The Way We Were« (»So wie wir waren«) brachen die beiden Stars in den 70er-Jahren Millionen Herzen. Nach dem Tod von Redford blickt Hollywood-Ikone Streisand zurück auf den Dreh

von Lukas Dubro  17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Für Toleranz, Demokratie: Margot Friedländer Preis vergeben

Es ist die erste Preisverleihung nach dem Tod der Stifterin. Ausgezeichnet wird der Einsatz für die Ideale der im Frühjahr gestorbenen Holocaust-Überlebenden

 17.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 16.09.2025

Eurovision Song Contest

Streit um Israel: ESC könnte wichtigen Geldgeber verlieren

RTVE ist einer der fünf größten Geldgeber des Eurovision Song Contest. Umso schwerer wiegt der Beschluss, den der spanische Sender verkündet

 16.09.2025