Spurensuche

Die fehlenden Seiten des Aleppo-Codex

Der Codex von Aleppo im Israel-Museum Foto: cc

Die syrische Stadt Aleppo ist derzeit wegen der blutigen Kämpfe zwischen den Truppen von Baschar al-Assad und den Aufständischen in den Schlagzeilen. Fast vergessen ist, dass Aleppo jahrhundertelang der Sitz einer florierenden jüdischen Gemeinde war, in deren Besitz sich die älteste vollständige schriftliche Fassung der Hebräischen Bibel befand – der Codex von Aleppo.

Das Schriftstück entstand vor etwa 1.100 Jahren in Tiberias, wurde im Jahr 1099 von den Kreuzfahrern geraubt und gelangte schließlich auf verschlungenen Pfaden nach Kairo und dort in die Hände des Philosophen Maimonides (1135–1204). Dessen Nachfahren brachten den Codex im 14. Jahrhundert nach Aleppo, wo er jahrhundertelang in einer Synagoge aufbewahrt wurde – bis er im Pogrom gegen die Juden der Stadt im Jahr 1947 schwer beschädigt wurde.

Ein neues Buch des israelischen Journalisten Matti Friedman (The Aleppo Codex) sowie ein Artikel von Ronen Bergman in der »New York Times« vom 25. Juli beschäftigen sich jetzt mit der Odyssee des Codex von Syrien nach Israel und dem bisher ungeklärten Verbleib der beinahe 200 fehlenden Seiten. Was die beiden herausgefunden haben, liest sich wie ein Verschwörungsthriller – ein Da-Vinci-Code für denkende Leser, wie ein Rezensent schrieb.

Schmuggel Der erhaltene Teil des Codex von Aleppo befindet sich heute im Israel-Museum in Jerusalem, wo er sorgfältig restauriert wurde. Die offizielle Geschichte, wie er dahin gelangte, geht so: Die jüdische Gemeinde von Aleppo hielt den Codex nach dem Pogrom von 1947 zehn Jahre lang versteckt. Dann beauftragte sie den jüdischen Kaufmann Murad Faham, der nach Israel auswandern wollte, das Schriftstück heimlich über die Grenze zu schmuggeln und dem damaligen Staatspräsidenten Jizchak Ben Zwi zu übergeben. So geschah es, und bis heute befindet sich die älteste Hebräische Bibel im nach Ben Zwi benannten Institut des Museums.

Doch Friedmans und Bergmans Recherchen ergaben Ungereimtheiten in der amtlichen Version. So halten die Autoren es für wahrscheinlich, dass die Juden von Aleppo den Codex nicht etwa dem Staat, sondern der Gemeinschaft der bereits in Israel ansässigen Aleppo-Juden übereignen wollten. Nur sei Präsident Ben Zwi der Ansicht gewesen, ein staatliches Museum wäre ein besserer Sachwalter des wertvollen Erbes als eine Gemeinde orientalischer Juden, und habe es mithilfe des Mossad in seinen Besitz gebracht. Auch sei, so Bergman in der »New York Times«, der Codex vermutlich gar nicht so stark beschädigt gewesen, sondern fast vollständig nach Israel gelangt. Die fehlenden 40 Prozent sollen auf den illegalen Antiquitätenmarkt gelangt und in alle Welt zerstreut worden sein.

Namen Der ultraorthodoxe Hehler Haim Schneebalg bot dem Londoner Juwelenmogul Shlomo Moussaieff in den 80er-Jahren etwas an, was der für den fehlenden Teil des Codex von Aleppo hielt. Moussaieff hat damals nicht zugegriffen, behauptet aber zu wissen, wer Schneebalg das Diebesgut abgekauft hat. Dessen Namen will er allerdings nicht nennen. Und da Schneebalg einige Jahre später in einem Hotel in Jerusalem ermordet aufgefunden wurde, gibt es niemanden mehr, der sagen könnte, wo das geheimnisvolle Artefakt abgeblieben ist.

Menachem Ben Sasson, früherer stellvertretender Direktor des Ben-Zwi-Instituts und heute Präsident der Hebräischen Universität, drückte es in der »New York Times« so aus: »Der Codex ist so bedeutsam geworden, dass derjenige, der das fehlende Stück besitzt, es für kein Geld der Welt herausrücken würde. Vielleicht werden seine Kindeskinder es eines Tages an das Israel-Museum zurückgeben.«

Matti Friedman: »The Aleppo Codex: A True Story of Obsession, Faith, and the Pursuit of an Ancient Bible«, Algonquin Books, New York 2012, 320 S., 24,95 $

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

 29.06.2025

Glastonbury

Polizei prüft Videos der Festival-Auftritte auf strafrechtliche Relevanz

Festival-Organisatoren: Parolen von Bob Vylan hätten eine Grenze überschritten

 29.06.2025

Literatur

Österreicherin Natascha Gangl gewinnt Bachmann-Preis 2025

Ihr poetischer Text »DA STA« begibt sich auf die Suche nach den versteckten Spuren eines NS-Verbrechens

 29.06.2025