Mit 102 Jahren absolvierte sie 2015 die mündliche Promotionsprüfung. Ihre Dissertation hatte Ingeborg Rapoport schon 1937/38 geschrieben. Doch die Nazis verweigerten der Ärztin die Doktorwürde wegen ihrer jüdischen Familie. Über ihr Leben (1912 bis 2017) schrieb die Medizinerin bereits 1997 ein Buch.
Heute nun kommt »Meine ersten drei Leben« als Neuauflage mit einem Vorwort ihres Enkels heraus. Der Wissenschaftler Daniel H. Rapoport schreibt, seine Großmutter sei eine außergewöhnliche Frau mit vielen Talenten gewesen. Und sie habe den altehrwürdigen Begriff der Barmherzigkeit aktualisiert, ihn aus einer duldenden Tugend in eine wissenschaftliche Form überführt.
Einem breiten Publikum war die Kinderärztin zuletzt durch die TV-Serie über die Berliner Charité bekannt geworden, gespielt von Nina Kunzendorf. Rapoport hatte sich dort in Ost-Berlin mit der Behandlung von Säuglingen einen Namen gemacht und die Neugeborenenheilkunde (Neonatologie) etabliert.
Laut dem Verlag Das Neue Berlin, in dem das Buch erscheint, spiegelt sich in dem Leben der leidenschaftlichen Wissenschaftlerin und Inhaberin des ersten europäischen Lehrstuhls für Neonatologie die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Enkel Rapoport schreibt, seine Großmutter habe die Neugeborenenklinik von Amerika nach Deutschland gebracht. Sie habe als verfolgte Jüdin aus Deutschland in die USA fliehen müssen. Dann sei sie als Kommunistin verfolgt aus den USA zurück nach Europa gekommen, mit ihrem Ehemann Samuel Mitja Rapoport ging sie in die DDR.
»Man fragt sich, wie jemand bei so viel Gefliehe überhaupt noch Wesentliches leisten kann. Ingeborg Rapoport konnte.« Eigentlich habe sie ihre Erinnerungen zunächst nur für den »familieninternen Gebrauch« notiert. Doch dann sei es mehr geworden.
Der studierte Chemiker Daniel Rapoport, geboren 1971 in Berlin, arbeitet heute am Fraunhofer Institut in Lübeck. dpa