Komiker

Dick und Doof und die »Yiddishe Velt«

Über die zahlreichen Verbindungen von Stan Laurel und Oliver Hardy zum Judentum

von Rainer Dick  06.10.2022 12:09 Uhr

Stan Laurel und Oliver Hardy, um 1936 Foto: picture alliance / PictureLux/The Hollywood Archive

Über die zahlreichen Verbindungen von Stan Laurel und Oliver Hardy zum Judentum

von Rainer Dick  06.10.2022 12:09 Uhr

Es mag überraschen, dass der anglo-amerikanische Komiker Stan Laurel in einem Film mit seinem Partner Oliver Hardy eine jiddische Zeitung zur Hand nimmt. Kaum bekannt ist hierzulande ebenfalls, dass Stan Laurel 1963 antisemitische Vorfälle in Winnipeg Beach, konkret Hakenkreuzschmierereien an den Wänden der jüdischen Gemeinde, empört verurteilte: »Diese Antisemitismus-Situation klingt ziemlich übel. Ich verstehe nicht, warum diese Hakenkreuz-Gruppen überhaupt agie­ren dürfen. Man sollte sie verbieten. Punkt! Eine Bande von Unruhestiftern – diese Sache mit der Diskriminierung ist schockierend«, schrieb der Komiker.

Schlichtweg sprachlos macht allerdings die Tatsache, dass ausgerechnet Adolf Hitler ein Faible für die Späße von Laurel & Hardy hatte: eine Fußnote zur Kulturgeschichte der Komik.

Laurel & Hardy – damals »Dick und Dof« mit einem O geschrieben – waren dem hiesigen Publikum seit den späten Stummfilmtagen vertraut. Mit Aufkommen des Tons stellte ihr Produzent Hal Roach, der die beiden Komiker unter Beteiligung des Regisseurs Leo McCarey zusammengebracht hatte, sogar Fremdsprachen-Fassungen ihrer Kurz- und Langfilme her.

Parallel zur Originalversion mussten die Komiker in deutscher, französischer, spanischer und vereinzelt italienischer Sprache radebrechen. Während sie ihre Dialoge auswendig lernten oder von Tafeln ablasen, wurden die jeweiligen Mitspieler durch Muttersprachler ersetzt. Diese zeit- und kostenintensive Arbeitsweise wurde beiderseits des Ozeans praktiziert, ehe eine optimierte Synchronisationstechnik sie ablöste.

METRO-GOLDWYN-MAYER Den Vertrieb der Laurel-&-Hardy-Filme erledigte das Großstudio Metro-Goldwyn-Mayer, dessen deutsche Filiale sich 1933 in vorauseilendem Gehorsam umgehend von jüdischen Mitarbeitern trennte. Charlie Chaplin wurde von der Nazi-Presse fälschlicherweise als »jüdischer Filmaugust« attackiert, während die Marx Brothers und die klamaukigen »Three Stooges« aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ohnehin nicht für den streng kontingentierten Kino-Import infrage kamen. Temporeiche Slapstick-Possen galten als »typisch amerikanisch«, erfreuten sich aber breiter Beliebtheit. In den Lichtspieltheatern liefen sie sehr erfolgreich mit Untertiteln, ab 1935 stellte die Metro deutsche Synchronfassungen her.

Vom Tonfilm Blotto wurde 1929/30 neben der englischsprachigen auch jeweils eine Version in französischer und spanischer Sprache gedreht. Das Stück thematisiert das bis 1933 in den USA bestehende Alkoholverbot. Die beiden Komiker umgehen die Prohibition, indem sie beim Besuch eines mondänen Nachtklubs ihr eigenes Getränk einschmuggeln. Ehe sie das Etablissement betreten, müssen sie Laurels unduldsamen Ehedrachen überlisten, der ihm das Ausgehen kategorisch untersagt.

ZEITUNG Um sein Leid im trauten Heim zu kompensieren, greift der eingeschüchterte Stan in der Anfangsszene zu einer Zeitung. Während die Gattin zetert, blickt er auf die Titelseite, stutzt, verdreht die Augen und erkennt, dass er nichts lesen kann. Er hält nämlich ein Blatt mit hebräischen Buchstaben in Händen. Es ist »Die yiddishe Velt«, damals eine in Cleveland erscheinende und amerikaweit gelesene jiddische Zeitung.

Bei den Aufnahmen griff man wahrscheinlich auf ein Journal mit hebräischen Buchstaben zurück, um Laurels Unvermögen zur Lektüre zu illustrieren. Detektivische Fans haben inzwischen herausgefunden, dass in dieser Ausgabe der »Yiddishe Velt« über den Flugpionier Charles Lindbergh berichtet wird. Der wurde pikanterweise später als strammer Antisemit und Nazi-Sympathisant geoutet – eine bittere Ironie angesichts der zutiefst humanistischen Note im Schaffen von Laurel & Hardy.

In der Frühphase seiner Karriere war Oliver Hardy mit einer Jüdin verheiratet.

Die von Goebbels eingerichtete »Reichsfilmkammer« wachte nicht nur streng und penibel über das »Ariertum« ihrer (Zwangs-)Mitglieder, sondern klopfte auch ausländische Produktionen auf die »Reinrassigkeit« der Mitwirkenden vor und hinter der Kamera ab. Dennoch darf bezweifelt werden, dass die ethnische und konfessionelle Zugehörigkeit zweier »harmlos« erscheinender Anarcho-Komiker überprüft wurde. Stan Laurel jedenfalls gehörte lebenslang der »Church of England« an. Der aus den US-Südstaaten stammende Oliver Hardy, dessen Vater zehn Monate nach seiner Geburt starb, hatte eine evangelisch-methodistische Mutter.

Der Geist des Judentums durchweht freilich auf die eine oder andere Weise auch ihr Œuvre. So war Hollywood Party (Die Löwen von Hollywood) als Jubiläumsfilm zum zehnjährigen Bestehen der deutschen Niederlassung von Metro-Goldwyn-Mayer gedacht, kam aber 1935 nicht plangemäß auf hiesige Leinwände.

LARRY SEMON Dabei hatte das auflagenstarke Nazi-Kampfblatt »Völkischer Beobachter« ein Jahrzehnt zuvor den jüdischen Hollywood-Komiker Larry Semon als Meister der Slapstick-Groteske gefeiert – in Unkenntnis seiner Vita, wie wir unterstellen müssen. Sowohl der kräftige Oliver Hardy als auch der spillrige Stan Laurel, die damals noch getrennte Wege gingen, arbeiteten intensiv mit dem 1928 verstorbenen Kino-Clown zusammen.

Hardy gibt in mehreren Dutzend Kurzfilmen den schurkischen Gegenspieler von Semon. Beide waren Freimaurer und leidenschaftliche Golfspieler, die auch außerhalb des Filmateliers ihre Freundschaft pflegten. In dieser Frühphase seiner Karriere war Hardy mit einer Jüdin verheiratet: Madelyn Saloshin, die als Orchestermusikerin und Klavierspielerin in Stummfilmkinos arbeitete. Sie hatte deutsche Vorfahren und stammte wie ihr Mann aus den Südstaaten.

Wie es heißt, stand Hardys Mutter Emily der Eheschließung ablehnend gegenüber – womöglich nicht aus Ressentiment, sondern aus Sorge: Im Sommer 1913 war es im US-Staat Georgia zu Ausschreitungen gekommen, weil ein jüdischer Fabrikbesitzer der Vergewaltigung und Ermordung einer 15-jährigen katholischen Angestellten beschuldigt wurde. Der Prozess endete trotz vager Indizien mit einem Todesurteil, dessen Vollstreckung ausgesetzt wurde. Der Verurteilte wurde 1915 von einer aufgebrachten Menschenmenge aus dem Gefängnis gezerrt und gelyncht.
Das blutjunge Ehepaar Hardy, das Georgia unmittelbar nach seiner Eheschließung verließ, setzte ein klares und mutiges Zeichen gegen Rassismus und Bevormundung.

MAX DAVIDSON Im Roach-Studio entstand neben den Laurel-&-Hardy-Filmen sowie den Abenteuern der Kleinen Strolche eine Filmserie um den Komiker Max Davidson, der 1875 in Berlin geboren und schon als Kind in die USA gekommen war. Seine wiederkehrende Rolle war die eines liebenswerten, allen Alltags- und Familienplagen mit Chuzpe begegnenden Familienvaters. Ohne jemals rassistisch zu sein, griff Davidson sämtliche Klischees eines sympathisch bauernschlauen jüdischen Kleinbürgers auf.

In seinem Kurzfilm Why Girls say No (Die unfolgsame Tochter, 1927) ist Hardy in der Nebenrolle eines Polizisten zu sehen. Das Drehbuch stammt von Laurel, der für mehrere Jahre überwiegend hinter die Kamera gewechselt war und auch die Gags für Davidsons Jewish Prudence (Es kommt immer anders, 1927) entwickelte. Im Zweiakter Call of the Cuckoo, der Anfang 1928 unter dem Titel Das Haus der tausend Freuden nach Deutschland gelangte, agieren Laurel & Hardy als durchgeknallte Nachbarn der Familie Davidson, die sich von einem sich von einem windigen Makler eine marode Bruchbude aufschwatzen lässt.#

Der Pas-de-deux aus »Way of West« wurde 2020 mit dem Schlager »Jerusalema« unterlegt.

Dezidierte Anspielungen philo- oder antisemitischer Art gibt es in Laurel-&-Hardy-Filmen nicht. In Air Raid Wardens (Schrecken aller Spione, 1943) werden Stan und Ollie von teutonischen Saboteuren in ein Zimmer gesperrt, in dem ein Hitler-Porträt hängt. Der eher alberne Anti-Nazi-Propagandafilm entstand nach ihrer Trennung von Hal Roach. Der Großteil ihres Spätwerks wurde von dem deutschstämmigen Juden Sol M. Wurtzel produziert.

EUROPAREISE Auf dem Höhepunkt ihrer Popularität münzten die Filmbosse 1932 eine private Europareise von Laurel & Hardy kurzfristig um, sodass es zu frenetisch gefeierten Verbeugungs-Touren durch London und Paris kam. Die Reklameabteilungen förderten außerdem die Gründung eines vorwiegend auf jugendliche Mitglieder abzielenden Laurel-&-Hardy-Klubs.

In Deutschland war eine Fan-Verehrung im Stil des Star-Systems à la Hollywood unerwünscht. Beim internationalen Klub-
treffen, das 1936 in Paris stattfand, fehlten Vertreter aus Deutschland. Ihnen blieb auch der im operettenhaft romantisierten Vagabunden-Milieu spielende Laurel-&-Hardy-Film Bohemian Girl vorenthalten.

Die »Filmoberprüfstelle« schmetterte 1936 den Widerspruch gegen ein Verbot ab. Gegeißelt wurde insbesondere eine »Verlogenheit des Films, der im Wesentlichen ein falsches Bild eines abzulehnenden Zigeunerlebens in kitschiger Form« biete, das seiner »inneren Gesamthaltung nach in unserem Staat keinen Platz hat«. Allerdings stießen stießen Laurel & Hardy in Swiss Miss am 19. Juni 1938 auf das Gefallen von Adolf Hitler. Ihre Erlebnisse als Mausefallen-Vertreter in der Schweiz fanden laut SS sogar »den Beifall des Führers«.

Zwei Tage später gab er ihrer Wildwest-Parodie Way out West immerhin die Note »Gut!«. Der komische Western kam als Ritter ohne Furcht und Tadel in die deutschen Kinos, während Swiss Miss von der Kontingentstelle trotz »Führer«-Lobs als »bedenklich« eingestuft wurde.
Nachdem 1936/37 ein französisches Komikerpaar namens »Laury und Hardel« auch in deutschen Varietés aufgetreten war, berichteten Branchenblätter über eine angeblich bevorstehende Europa-Tournee, die Laurel & Hardy unter anderem nach Berlin führen sollte. Dazu kam es nicht, doch die Kinos machten mit den kurzen und abendfüllenden Filmen der beiden Stars weiterhin üppige Gewinne.

Dass die chimärenhaften Helfershelfer des üblen Märchenland-Schurken in ihrem Film Babes in Toyland antisemitisch gezeichnet seien, fiel weder im Ursprungsland noch in Deutschland auf, wo der Film 1935 unter dem Titel Böse Buben im Wunderland anlief. Es ist eine kühne Interpretation der Nachgeborenen, die zuweilen im Freundschaftsverhältnis der Filmfiguren Stan und Ollie eine homosexuelle Komponente zu erblicken glauben.

Dennoch belegen derlei Vereinnahmungen und Deutungsversuche die Zeitlosigkeit der Laurel-&-Hardy-Filme. Physiognomie und Habitus der von ihnen kreierten Filmfiguren Stan und Ollie, die im Hebräischen »Hashamen v’Harazeh« (der Dicke und der Dünne) genannt werden, sind feste Bestandteile der Welt-Ikonografie des 20. Jahrhunderts.
Erst vor zwei Jahren avancierte die berühmte Tanzszene aus Way out West mit neuer Musikuntermalung zum globalen Internet-Hit: Der reizende Pas-de-deux aus einem Film, den Adolf Hitler »gut« fand, wurde mit dem folkloristischen Schlager »Jerusalema« unterlegt und millionenfach geklickt.

Der Autor ist Kulturredakteur der »Rheinpfalz«. Zuletzt erschien von ihm »Laurel & Hardy. Sehr viel mehr als dick und doof« bei Boiselle & Ellert.

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