Physik

Der Wortschöpfer

Forscht und lehrt mit Esprit: Leon Max Lederman Foto: getty

Dieser Tage hat wieder einmal der Begriff »Gottesteilchen« Hochkonjunktur, den viele Physiker mit Hingabe hassen. Wenn es um das lang gesuchte Higgs-Boson geht, das die Forscher am Teilchenbeschleuniger CERN in Genf langsam, aber sicher einkreisen, kommt man um die religiöse Metapher nicht herum. Ihr Urheber allerdings ist nicht etwa ein Journalist, sondern der Teilchenphysiker Leon Lederman, Nobelpreisträger und Autor eines Buches dieses Namens: The God Particle (deutsche Ausgabe: Das schöpferische Teilchen).

Leon Max Lederman erblickte am 15. Juli 1922 das Licht von New York. Seine Eltern waren russisch-jüdische Emigranten und sicher nicht wohlhabend: Leons Vater betrieb eine kleine Wäscherei. Obwohl – oder weil – er von einfacher manueller Arbeit lebte, legte Leons Vater von Anfang an Wert auf Bildung. Für Lederman war Bildung die Eintrittskarte zum Amerikanischen Traum – ein Motiv, das ihn bis heute begleitet, nun allerdings nicht mehr als Empfänger, sondern als Vermittler vor allem physikalischen Wissens.

Beinahe wäre der junge Lederman Chemiker geworden. Unter dem Einfluss seines Bruders, der ein Heimlabor besaß, konzentrierte er sich im College auf Chemie und schloss mit einem Bachelorgrad ab. Doch nach dem Militärdienst wechselte er zur Physik, worin er 1951 promovierte. Seine Doktorarbeit verfasste er genau am richtigen Ort: am neu gebauten Synchro-Cyclotron der Columbia University, dem damals leistungsfähigsten Teilchenbeschleuniger der Welt.

Elementarteilchen Der Start von Ledermans Laufbahn fiel mit dem Beginn einer neuen Ära der Physik zusammen, die bis heute anhält: die Ära der Elementarteilchen, die jetzt, am Beginn des 21. Jahrhunderts, in der Suche nach dem Higgs-Boson kulminiert, das erklären soll, wie Materie ihre Masse erhält. Im Teilchenbeschleuniger treffen Atomkerne aufeinander und verursachen einen winzigen Feuerball, aus dem andere Teilchen hervorgehen und Spuren in den ausgefeilten Detektoren dieser Großforschungseinrichtungen hinterlassen – Spuren, denen Lederman sein Forscherleben gewidmet hat.

Mit seiner Suche nach den kleinsten Komponenten der Materie ist Lederman ein echter Physiker des 20. Jahrhunderts, ein kompromissloser Reduktionist, dessen Suche nach dem Urgrund der Welt pfeilgerade auf ihre grundlegendsten Bausteine zielte: die Quarks und die Neutrinos, für deren Erforschung er den Nobelpreis erhielt, und schließlich das Higgs-Boson, das letzte fehlende Glied im Standardmodell der Teilchenphysik. Die Bezeichnung »Gottesteilchen« kennzeichnet nicht nur die zentrale Bedeutung des Higgs für die Teilchenforschung, sondern eben auch Ledermans Sehnsucht, durch die Klarheit und Eindeutigkeit der Physik an den Ursprung der Welt zu gelangen.

Vermittler Auf diese Klarheit beruft sich auch die Bildungsinitiative, deren prominentester Kopf Lederman ist. »Physics First« nennt sie sich – »Physik zuerst« –, und der Name ist Programm. Statt mit Biologie zu beginnen, soll Physik die erste Wissenschaft sein, die amerikanische Schüler erlernen, erst danach die darauf aufbauenden Fächer Chemie und Biologie. Nicht nur den Ursprung der Welt sucht Lederman in der Physik, sondern auch den Ausgangspunkt zu ihrem Verständnis.

Als Nobelpreisträger ist Lederman mit seinem Engagement für Bildung nicht allein, doch viele andere Laureaten entdeckten erst durch die neu gewonnene Prominenz ihre Verantwortung, sich öffentlich für eine Sache einzusetzen. Lederman dagegen schlug schon 1982 vor, eine Akademie einzurichten, die der Vermittlung von Mathematik und Naturwissenschaft gewidmet sein sollte – eine Idee, die 1986 mit der Gründung der Illinois Mathematics and Science Academy umgesetzt wurde, zwei Jahre, bevor er 1988 zusammen mit Melvin Schwartz und Jack Steinberger den Nobelpreis für Physik erhielt.

Humor Seither ist er »Leon Lederman, der Nobelpreisträger« – doch er war und ist so viel mehr. Zuallererst einmal ist Lederman ein Lehrer, und ein sehr guter noch dazu. 50 Doktoranden hat er allein in seiner Zeit an der Columbia University ausgebildet, von denen, wie er einmal im Interview anmerkte, seines Wissens keiner im Gefängnis gelandet sei. Hunderttausende haben seine Bücher über Teilchenphysik gelesen. Im Jahr 2008 setzte er sich einmal für ein Fernsehteam in eine Einkaufsstraße einer amerikanischen Großstadt und beantwortete mit seinem typischen Humor die Physik-Fragen von Passanten. Den Filmclip kann man sich bis heute im Internet ansehen. Und wenn man den wirklichen Leon Lederman sucht, hinter all den Preisen, Büchern und Presseartikeln, dann kommt man ihm dort vielleicht am nächsten.

Das Gottesteilchen im Buchtitel, das sei noch erwähnt, ist wohl gar nicht Ledermans Schuld. Der Legende nach suchten Verlag und Autor lange erfolglos nach einem Titel für das Buch, bis Lederman scherzhaft vorschlug, es doch einfach »Das gottverdammte Teilchen« zu nennen. Zumindest den Geschmack der Physiker hätte er damit möglicherweise besser getroffen.

Der Autor ist Chemiker und Online-Redakteur der Zeitschrift »Spektrum der Wissenschaft«.

www.scilogs.de/wblogs/blog/fischblog

Kino

Düstere Dinosaurier, frisches Starfutter

Neuer »Jurassic World«-Film mit Scarlett Johansson läuft in Deutschland an

von Ronny Thorau  01.07.2025

Berlin

Ausstellung »Die Nazis waren ja nicht einfach weg« startet

Die Aufarbeitung der NS-Zeit hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Wendungen genommen. Eine neue Ausstellung in Berlin schaut mit dem Blick junger Menschen darauf zurück

von Lukas Philippi  01.07.2025

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

von Ulf Poschardt  29.06.2025