Wuligers Woche

Der Seder als Stammtisch

Foto: imago stock&people

Wuligers Woche

Der Seder als Stammtisch

Gefilte Fisch mit Politik? Ich bin dann mal weg ...

von Michael Wuliger  18.04.2019 11:19 Uhr

Seit Heiner Koch, der katholische Bischof von Berlin, Greta Thunberg mit Jesus verglichen hat und die Friday-for-Future-Demos mit Christi Einzug in Jerusalem, ist in der katholischen Welt der Teufel los. Gotteslästerung wird dem frommen Mann vorgeworfen. Dabei wollte Hochwürden Koch wahrscheinlich nur den bevorstehenden Ostertagen einen aktuellen Spin geben, um so die Kirchen voller zu kriegen.

Uns kann das egal sein. Wir glauben nicht an Jesus Christus. Und an Greta Thunberg auch nicht. Außerdem haben wir nicht Ostern, sondern Pessach. (Anmerkung für Christen: Wenn Ihre jüdischen Nachbarn diesen Karfreitagabend ein Festessen veranstalten und dabei fröhliche Lieder singen, feiern sie nicht die Kreuzigung Christi. Kalendarisch fällt Erew Pessach dieses Jahr nun mal auf Karfreitag. Reiner Zufall, keine böse Absicht.)

Wie Bischof Koch sind auch wir Juden nicht davor gefeit, religiösen Traditionen aktuelle politische Bedeutungen unterzuschieben.

SENF Wobei auch Juden nicht davor gefeit sind, religiösen Traditionen aktuelle politische Bedeutungen unterzuschieben. Vor allem Pessach eignet sich dafür hervorragend. Wenn beim Seder die Geschichte des Auszugs aus Ägypten erzählt wird, fühlen regelmäßig manche am Tisch sich dazu bemüßigt, ihren ideologischen Senf dazuzugeben.

Je nach politischer Verortung fällt der natürlich unterschiedlich aus. Hardcore-Zionisten sehen sich als Erfüller der biblischen Prophezeiung vom Gelobten Land einschließlich Judäas und Samarias. Der Golan zählt selbstverständlich auch dazu. Donald Trump hat Gottes Wort erfüllt. Dass die Südspitze Israels derselben Quelle nach nicht dazugehören würde, wird elegant übergangen. Was würde sonst aus dem Winterurlaub in Eilat?

Jüdische Sozialisten alter Schule zogen Traditionslinien von Moses über Marx bis Lenin.

Linke lesen die Haggada natürlich anders. Jüdische Sozialisten alter Schule zogen Traditionslinien von Moses über Marx bis Lenin. Die Befreiung aus der Sklaverei des Pharaos wurde zum Klassenkampf. Postmoderne intersektionale Linke heute fassen die Pessachbotschaft noch weiter, als Erlösung vom Patriarchat, den binären Genderzwängen und vor allem natürlich als Befreiung der Palästinenser vom Joch des Zionismus. Netanjahu ist der Pharao von heute.

KLIMAWANDEL Selbstverständlich ist auch der einzig zulässige Standpunkt in der Migrationsdebatte zu Pessach vorgegeben: Bleiberecht für alle, denn »Du sollst einen Fremden nicht bedrücken, (…) denn fremd warst du im Land Ägypten.« Und, womit wir wieder bei Greta Thunberg sind, auch der Kampf gegen den Klimawandel gehört dazu, wie Rabbi Arthur Waskow vom progressiven amerikanischen »Shalom Center« erklärt: So wie wir vor Pessach die Wohnung von Chametz, Gesäuertem, säubern, müssen wir auch im Leben Verunreinigungen entfernen. Kohlendioxid ist das Chametz der Umwelt, erneuerbare Energien die Mazzen der Ökologie.

So etwas versaut einem den ganzen Sederabend. Eigentlich will man doch nur mit Familie und Freunden angenehm zusammensitzen. Ich kündige meinen Gastgebern deshalb hiermit jetzt schon an, dass, falls Freitagabend irgendwer am Tisch anfängt zu politisieren, ich ihn oder sie mit Gefilte Fisch bewerfen werde. Notfalls im Glas.

Kino

Düstere Dinosaurier, frisches Starfutter

Neuer »Jurassic World«-Film mit Scarlett Johansson läuft in Deutschland an

von Ronny Thorau  01.07.2025

Berlin

Ausstellung »Die Nazis waren ja nicht einfach weg« startet

Die Aufarbeitung der NS-Zeit hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Wendungen genommen. Eine neue Ausstellung in Berlin schaut mit dem Blick junger Menschen darauf zurück

von Lukas Philippi  01.07.2025

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

von Ulf Poschardt  29.06.2025