Finale

Der Rest der Welt

Niemand hat mehr Geld, bekanntermaßen. Staaten, Banken, Städte, Bundesländer, sogar manche jüdischen Gemeinden sind bankrott. Und alle rufen sie nach finanzieller Hilfe.

Juden kennen das. Nicht zufällig stammt das Wort »Pleite« aus dem Jiddischen. Auch mit Stützungsmaßnahmen haben wir Erfahrung. In den Schtetln Osteuropas gab es immer Leute, die nicht willens oder in der Lage waren, ihre Existenz aus eigener Kraft zu bestreiten, sondern von Zuwendungen anderer lebten. Man nannte sie Schnorrer.

Schnorrer waren keine gewöhnlichen Bettler. Sie traten nicht unterwürfig auf, im Gegenteil. Der Schnorrer kam selbstbewusst daher. Er bat nicht um Spenden, er forderte sie ein, als sein gottgegebenes Recht. Wie in dem Witz von dem Schnorrer, der jede Woche von einem besserverdienenden Juden einen Rubel erhält. Eines Tages jedoch bekommt er nur 50 Kopeken. »Ich muss leider sparen«, sagt der Wohltäter. »Meine Tochter heiratet, ich brauche das Geld für die Aussteuer.« »Aber doch nicht auf meine Kosten«, empört sich der Schnorrer.

Womit wir beim Eurorettungsfonds wären. Oder beim Länderfinanzausgleich. Oder bei der Weltbank. Jedenfalls bei den Institutionen, die den immer selben Pleitekandidaten ständig Geld zuschießen müssen. Und die bedanken sich nicht mal. Wie im Schtetl.

chuzpe Da kann man auch gleich dessen Terminologie übernehmen. Ab sofort wird der bisherige Begriff »Nehmerland« oder »Nettoempfänger« durch »Schnorrerstaat« ersetzt. Amtlich anerkannte Schnorrerstaaten werden aus einem Fonds finanziert, der per Erlass der EU-Kommission »Zentraler europäisch-deutscher Angleichungskostenausgleich« heißt, abgekürzt Zedaka. Finanziert wird dieser Fonds durch eine neue Sondersteuer, die Monetäre Individualzahlungswertabgabe, kurz Mizwa.

Von den Schnorrerstaaten wird im Gegenzug erwartet, dass sie ihre Begehrlichkeiten in amüsanter Form vorbringen, die bei langweiligen Parlamentssitzungen als Witz die Runde machen können – die sogenannte Wowereit-Klausel, nach dem Berliner Regierenden Bürgermeister und Schöpfer des »Arm aber sexy«-Spruchs. Je größer die Charme-und-Zynismus-Phrasen-
Effizienz (Chuzpe) des Politikers, desto höher fallen die Zuschüsse für sein Land aus.

In Streitfällen wird als Entscheidungsinstanz der Rat für allgemeine bundesstaatliche und bürgernahe Institutionen (Rabbi) angerufen. Bürger, die mit dieser neuen Regelung nicht einverstanden sind, können ihren Protest offiziell einreichen. Beschwerden richten Sie bitte an die Organisation für juristische weltweite Einsprüche (Ojwei).

Restitution

»Das Ausmaß hat uns überrascht«

Daniel Dudde über geraubte Bücher, Provenienzforschung an Bibliotheken und gerechte Lösungen

von Tobias Kühn  15.07.2025

Haskala

Medizin für die jüdische Nation

Aufgeklärte jüdische Ärzte sorgten sich um »Krankheiten der Juden«. Das wirkte auch im Zionismus nach

von Christoph Schulte  15.07.2025

Literatur

Vom Fremden angezogen

Die Schriftstellerin Ursula Krechel, Autorin des Romans »Landgericht«, wird mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet

von Oliver Pietschmann  15.07.2025

Interview

»Eine Heldin wider Willen«

Maya Lasker-Wallfisch über den 100. Geburtstag ihrer Mutter Anita Lasker-Wallfisch, die als Cellistin das KZ Auschwitz überlebte, eine schwierige Beziehung und die Zukunft der Erinnerung

von Ayala Goldmann  15.07.2025

Musik

Zehntes Album von Bush: »Wie eine Dusche für die Seele«

Auf ihrem neuen Album gibt sich die britische Rockband gewohnt schwermütig, aber es klingt auch Zuversicht durch. Frontmann Gavin Rossdale hofft, dass seine Musik Menschen helfen kann

von Philip Dethlefs  15.07.2025

Medien

Die Deutsche Welle und Israel: Mitarbeiter werfen ihrem Sender journalistisches Versagen vor

Die Hintergründe

von Edgar S. Hasse  14.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte. Bis er eine entscheidende Rolle von den Coen-Brüdern bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  14.07.2025

Musik

Der die Wolken beschwört

Roy Amotz ist Flötist aus Israel. Sein neues Album verfolgt hohe Ziele

von Alicia Rust  14.07.2025

Imanuels Interpreten (11)

The Brecker Brothers: Virtuose Blechbläser und Jazz-Funk-Pioniere

Jazz-Funk und teure Arrangements waren und sind die Expertise der jüdischen Musiker Michael und Randy Brecker. Während Michael 2007 starb, ist Randy im Alter von fast 80 Jahren weiterhin aktiv

von Imanuel Marcus  14.07.2025