Finale

Der Rest der Welt

Nur über meine Leiche. Nie und nimmer. Diesmal bleibe ich knallhart. Kommt nicht in die Tüte, dass meine sechsjährige Tochter mitten in einer Schulwoche zu nächtlicher Stunde vor einer Konzertbühne herumhüpft. Egal, ob die Miami Boys oder Shwekey oder Avraham Fried himself eine Vorstellung geben.

Die sehr exklusive religiöse Schule meiner Tochter hat dieses Jahr als Benefiz-Gaststar niemand anderen als Mordechai Ben David (MBD) an Land gezogen, und natürlich muss die ganze Schule bei diesem Mega-Event mit dabei sein. Getreu dem autoritativen, sozial-integrativen Erziehungsstil, auf den ich so stolz bin – ich habe da einige Bücher gelesen – werde ich mich dem Druck nicht beugen und meiner Tochter ganz gelassen die Argumente gegen diese Irrsinnsveranstaltung näher bringen.

Idol Einige durchheulte Stunden später bin ich weichgekocht und kapituliere. Mit zitternder Hand unterschreibe ich den Wisch, der meiner minderjährigen Tochter zusammen mit ihren kleinen Freundinnen – diesen verwöhnten Gören – einen exklusiven Emporenplatz ganz in der Nähe ihres Idols MBD garantiert. Jetzt muss ich nur noch jemanden finden, der Emma zum Konzert mitnimmt. Ich selbst scheide aus, denn der Kauf von Emmas exklusivem Ticket hat meine Haushaltskasse restlos geleert, sodass ich mir kein zweites Ticket leisten kann.

Also erbieten sich die Eltern von Emmas bester Freundin, sie mitzunehmen. Das Konzert beginnt vornehm spät, und gegen 19.30 Uhr segelt Emma in einer Wolke aus blauem Tüll, mit blauen Schleifchen im Haar, aus der Tür. Alain und ich hasten auf den Balkon, um zu sehen, wie Emma unten in eine wartende Limousine steigt und entschwindet. Auf einmal ist es sehr still in der Wohnung.

Wir versuchen, uns auf eine neue Folge von The Bold and the Beautiful zu konzentrieren. Ich halte krampfhaft mein Handy umklammert – falls was ist oder jemand anruft. Eine Viertelstunde vergeht, 20 Minuten.

Smartphone Auf einmal beginnt Alains Smartphone zu vibrieren und ich beschließe, nie mehr über nervige Facebook-Updates zu meckern, denn dank dieser segensreichen Technologie können wir nun fast live mitverfolgen, wie Emma mit ihren Freundinnen im Foyer lässig an der Bar lehnt und irgendeine rosa Limonade schlürft, wie die kleinen Mädchen auf den Schultern von diversen Papas und großen Brüdern durch die brodelnde Menschenmenge bis ganz nach vorne zur Bühne getragen werden, wo die Kleinen ihrem Idol begeistert zuwinken, bis der Große MDB schließlich die kleinen Dinger zu sich auf die Bühne holt, wo sie unter Blitzlichtgewitter, selig grinsend, ihre Lieblingssongs mitträllern.

Und das ist der Anfang von Emmas kometenhaftem Aufstieg zum Facebook-Star des Abends. Das Handy vibriert nonstop, es hagelt Likes und Komplimente. Immer neue Filmchen von Emmas Triumphzug tauchen auf. Alain ist nur noch am Posten, Sharen und Liken. Irgendwann steht Emma wieder vor der Tür, leicht zerzaust, aber euphorisch. »Es war ein Traum«, säuselt sie noch und entschwebt in ihr Zimmer und ins Land der Träume.

Nur das Smartphone ist weiter am Posts abfeiern, mit Likes aus Wien, New York und Petach Tikva. Sind die denn alle verrückt geworden? Geht schlafen, die Party ist vorbei, es ist zwei Uhr morgens! Eins steht fest: Nächstes Jahr, wenn die Miami Boys nach Antwerpen kommen, werde ich auf jeden Fall schon Wochen vorher mit Emma inkognito die Stadt verlassen.

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