Als ich zum ersten Mal nach Antwerpen kam, fühlte ich mich ein bisschen wie Alice im Wunderland. Völlig entzückt beobachtete ich auf der Straße die vielen Strejmels, Scheitels und Tichels in allen Varianten, die koscheren Geschäfte, die jiddischsprachigen Kleinkinder.
Vor allem aber hatten es mir auf meinen Spaziergängen die Namensschilder neben den Türklingeln angetan. Eine Flut von Goldenblums, Silbersteins, Cohens und Weichselbaums. Namen, auf die ich insgeheim immer schon etwas neidisch war, denn ich trage mit dem simplen »Berger« den allerlangweiligsten aller Nachnamen. Schnell stellte sich heraus, dass die meisten der Goldenblums, Silberzweigs et cetera großteils auch miteinander verwandt und verschwägert sind. Das sind riesige, weitverzweigte Familien, die sich fast täglich sehen und alle eng zusammenhalten.
Da fühlt man sich schon irgendwie einsam, denn meine Familie ist nur ganz klein, ich kann also nicht, wie die Antwerpener, zu jedem Schabbat-Essen das Bad in der Menge der Cousins, Cousinen, Schwager und Schwippschwager genießen. Umso glücklicher machte es mich, nach und nach immer mehr Klingelschilder mit »Berger« zu finden.
Eine Riesen-Mischpoche
Toll, eine Riesen-Mischpoche, die bestimmt nur darauf wartete, mich, die verlorene Tochter, nach langen Jahren wieder in den Busen der Großfamilie aufzunehmen! Ich sponn bereits Fantasien der glücklichen Familienzusammenführungen, der großartigen Abendessen und Gartenpartys, die ich bald schmeißen würde. Ich fragte meinen Mann, wie wir denn nun ganz konkret vorgehen sollten, um die vielen Bergers in meine frohen Pläne einzubinden. Eine WhatsApp-Gruppe vielleicht? Mein Mann lächelte nur mitleidig.
Die halbe Stadt trage den Namen »Berger«, was aber noch lange nicht heiße, dass wir alle miteinander verwandt seien. Es sei nun einmal ein häufiger Name. Ob ich denn noch nie etwas von der Wissenschaft der Onomastik oder Namensforschung gehört habe, fragte er und zog ein vergilbtes altes Buch, dick wie ein Ziegelstein, aus dem Bücherschrank hervor.
»Arme Schlucker« bekamen gemeinerweise oft unrühmliche Namen wie zum Beispiel »Letztergroschen« oder »Rindskopf« zugeteilt.
»In Deutschland«, so dozierte mein neunmalkluger Ehemann, »führten Juden erst ab dem 18. Jahrhundert erstmals Nachnamen, Joseph II. legte dann 1787 fest, dass Juden deutsche Familiennamen tragen mussten.« »Arme Schlucker« bekamen gemeinerweise oft unrühmliche Namen wie zum Beispiel »Letztergroschen« oder »Rindskopf« zugeteilt, begüterte Glückspilze leisteten sich klangvolle Namen wie eben Silberzweig und Rosenblum.
Ein möglichst blasser, unauffälliger Name
Und dann gab es wohl bestimmt auch Leute, die sich einen möglichst blassen, unauffälligen Namen suchten, Müller oder Berger eben. »End of Story«, sagte mein Mann und schlug sein kluges Buch wieder zu. Ich hätte aber eigentlich auch den sehr klangvollen Namen meines Göttergatten annehmen können.
Dann hieße ich jetzt Margalit Edelstein, was aber auch keine gute Idee ist, denn mein Vorname Margalit heißt übersetzt ja auch Edelstein! Ich hieße dann also Edelstein Edelstein, was ich auch irgendwie ungünstig finde.
Falls Sie irgendwelche guten Ideen haben, um mir aus der Bredouille zu helfen, oder falls Sie auch Berger heißen, irgendwie mit mir verwandt sind und mich jetzt gerne einmal persönlich kennenlernen wollen: Sie wissen ja, wie Sie mich finden können!