Glosse

Der Rest der Welt

US-Präsident Biden machte beim Demokratischen Parteitag schnell den Abgang Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Es klang etwas kontrafaktisch, was Joe Biden da kurz vor Mitternacht von einem der vielen Teleprompter auf der Bühne des International Amphitheatre in Chicago ablas. »Ich glaube, Fortschritt ist möglich, und unsere besten Tage liegen nicht hinter uns, sie liegen vor uns.« Er meinte natürlich seine Demokraten, nicht sich selbst.

Wäre Biden Trump, wäre mit »uns« nur er selbst gemeint – Pluralis Majestatis und so. Biden ist bescheidener. Vielleicht bekam der 81-Jährige auch deshalb den frenetischen Jubel der Delegierten des Parteitags der Demokratischen Partei. »Wir lieben Joe«, skandierten sie minutenlang. Biden hatte noch gar nicht angefangen zu reden. Sie hielten Schilder hoch, die den Präsidenten, der erst vor vier Wochen auf seine zweite Präsidentschaftskandidatur verzichtet hatte, genau dieser Liebe versicherten. Es waren Tausende Schilder.

Sogar Nancy Pelosi hielt eines in der Hand. Und auch sie rief laut: »We love Joe!« Dabei war es die langjährige Vorsitzende des Repräsentantenhauses gewesen, die Anfang Juli die Sache in die Hand genommen und ihrem alten Freund Joe im Fernsehen sinngemäß nahegelegt hatte, es jetzt doch mal gut sein zu lassen und lieber seinen Ruhestand zu genießen, anstatt erneut gegen Trump in den Kampf zu ziehen. Vorher hatte Biden seine TV-Debatte mit Trump vergeigt und wie ein greiser 81-Jähriger gewirkt.

Dabei ist Pelosi selbst noch längst nicht im Ruhestand angekommen. Sie wird im November für eine 14. Amtszeit im Kongress antreten. Wir wissen nicht, ob Biden sich darüber ein wenig die vom Telepromp­ter Ablesen geröteten Augen gerieben hat. Schließlich ist er drei Jahre jünger als seine Freundin. Beziehungsweise Ex-Freundin (Anmerkung des Autors: Pelosi und Biden hatten nie was miteinander). Biden dürfte die Adenauersche Steigerung »Feind – Todfeind – Parteifreundin« in den Sinn gekommen sein, als er Pelosi mit ihrem Schild im Saal sitzen saß.

Allerdings war der Anblick seiner Frau Jill in ihrem Kleid von Ralph Lauren um Meilen besser. Da wusste Joe Biden wieder: Diese Frau liebt mich. Beobachter in Washington hatten Jill im Verdacht, ihrem Mann bis zuletzt vom Verzicht auf die zweite Kandidatur abgeraten zu haben. Am Ende waren Pelosi & Co. dann aber einfach abgezockter. 

Bei den Demokraten haben nach dem Abgang Bidens nun die Frauen das Zepter in der Hand. Viele von ihnen traten in Chicago ans Rednerpult. Sogar die 2016 gegen Trump krachend gescheiterte Hillary Clinton durfte zu den Delegierten sprechen und Biden ihre Liebe versichern. Aber der unumschränkte Liebling der Partei ist nun, allen Schildern und Sprechchören zum Trotz, Kamala Harris.

Vielleicht war es da gut, dass die beiden Bidens Chicago noch in der Nacht zum Dienstag verließen und einen wohlverdienten Kurzurlaub antraten. Es ging nach Kalifornien, Heimat von Kamala Harris und Nancy Pelosi. 
Dort erwarteten Joe Biden keine Teleprompter, keine Schilder und auch keine Sprechchöre von 84-jährigen Parteifreundinnen. Sondern nur weiße Sandstrände. So schön kann der Ruhestand aussehen.

Medien

»Besonders perfide«

Israels Botschafter wirft ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann Aktivismus vor. Die Hintergründe

 18.07.2025

London

Kneecap und Massive Attack wollen andere israelfeindliche Bands unterstützen

Einige der Initiatoren einer neuen Initiative verherrlichten den palästinensischen und libanesischen Terror auf der Bühne. Andere verglichen das Vorgehen Israels gegen die Hamas mit dem Holocaust

von Imanuel Marcus  18.07.2025

Darmstadt

Literaturpreise für Dan Diner und Ilma Rakusa

Diner habe die Geschichte des Judentums immer wieder als »Seismograph der Moderne« verstanden, begründete die Jury die Wahl

 18.07.2025

Nachruf

Nie erschöpfter, unerschöpflicher Herrscher des Theaters

Claus Peymann prägte das Theater im deutschen Sprachraum wie nur wenige andere. Nun ist er in Berlin gestorben. Erinnerungen an einen Giganten der Kulturszene

von Christian Rakow  18.07.2025

Kulturpolitik

Weimer sieht autoritäre Tendenzen im Kulturbetrieb

Attacken auf das weltberühmte Bauhaus und steigende Judenfeindlichkeit: Nach Einschätzung von Kulturstaatsminister Weimer steht der Kulturbetrieb zunehmend unter Druck

von Katrin Gänsler  18.07.2025

Tournee

Bob Dylan auf drei deutschen Bühnen

Das Publikum muss sich bei den Vorstellungen der lebenden Legende auf ein Handyverbot einstellen

 18.07.2025

Marbach

Israelische Soziologin Eva Illouz hält Schillerrede

Illouz widme sich dem Einfluss wirtschaftlichen Denkens und Handelns und greife damit Widersprüche kulturgeschichtlich auf, hieß es

 17.07.2025

Musik

1975: Das Jahr großer Alben jüdischer Musiker

Vor 50 Jahren erschienen zahlreiche tolle Schallplatten. Viele der Interpreten waren Juden. Um welche Aufnahmen geht es?

von Imanuel Marcus  17.07.2025

Interview

»Eine Heldin wider Willen«

Maya Lasker-Wallfisch über den 100. Geburtstag ihrer Mutter Anita Lasker-Wallfisch, die als Cellistin das KZ Auschwitz überlebte, eine schwierige Beziehung und die Zukunft der Erinnerung

von Ayala Goldmann  17.07.2025 Aktualisiert