Glosse

Der Rest der Welt

Foto: Getty Images

Glosse

Der Rest der Welt

10.000 Schritte für den Schabbat oder Warum ich unsympathisch bleibe

von Beni Frenkel  05.08.2023 22:30 Uhr

Ich habe vor enorm vielen Jahren ein Porträt über einen Kerl geschrieben. An den Titel kann ich mich bis heute erinnern: »10.000 Schritte für Afrika«. Der Mann hatte sich nämlich vorgenommen, ein Jahr lang 10.000 Schritte zu laufen. Er erzähle mir sein Geheimnis: Wenn der Zug Verspätung hat, läuft er den Bahnsteig hoch und runter. Im Büro benutze er nie den Lift, und in der Mensa wähle er den hintersten Tisch.

Seine Freunde würden ihn unterstützen, sagte er mir. Der Erlös der Schritt-Aktion soll nach Afrika beziehungsweise in ein afrikanisches Land gehen. Welches Land in Afrika, weiß ich nicht mehr. Auch nicht, wie sich der Erlös zusammensetzte.

pyjamahose Aber der Mann machte Eindruck auf mich. An seinem Gürtel war ein mechanischer Schrittzähler angebracht. Bei jedem Schritt hörte man ein Tick-tack. Ich kann mir vorstellen, dass es Familienmitglieder gibt, die der Lärm stört. Damit er jeden Tag sein Ziel erreichte, hatte der Entwicklungshelfer mehrere Schrittzähler angeschafft. Ein kleiner war für die Pyjamahose. Für den Fall, dass er in der Nacht auf die Toilette rennen musste.

Seit ein paar Monaten besitze auch ich einen Schrittzähler, und zwar auf meinem Handy. 10.000 Schritte, das habe ich nun gelernt, sind keine große Leistung. Wenn man zu Fuß zwei Haltestellen läuft, kommt man schnell an sein Ziel. Meines ist: 70.000 Schritte in der Woche!

Mein Rekord sind 14.500 Schritte. Das war an dem Morgen, als ich auf dem Weg zur Arbeit bemerkte, dass ich die Brieftasche zu Hause vergessen hatte. Wenn ich am Ende der Woche 70.000 Schritte absolviert habe, sollte ein Feuerwerk auf dem Display erscheinen: »Du bist einzigartig, du bist der Beste!«

helpline Den Text habe ich geschrieben. Nur erscheint er nie. Denn am Schabbat benutze ich kein Handy, ich trage es nicht einmal. Ich bin Schomer Schabbat. Aber gerade am Schabbat laufe ich bestimmt 15.000 Schritte. Weil die einzige Synagoge in der Stadt, die mir ein bisschen sympathisch ist, ziemlich weit weg ist. Ich wollte die Helpline der App anrufen, um ihr mein Problem zu schildern. Vielleicht kann man nach Schabbat die Schritte eingeben, also 15.000.

Aber es gibt keine Helpline für die App. Ich kann also nie Kollegen mein erreichtes Wochenziel unter die Nase halten. Ich bleibe also unsympathisch wie immer. Ich habe nun das Wochenziel auf 50.000 Schritte reduziert. Aber wenn die Nachricht kommt, ich sei einzigartig und der beste Jude der Welt, lässt mich das irgendwie kalt. Vielleicht spende ich die Hälfte nach Afrika.

ANU-Museum Tel Aviv

Jüdische Kultobjekte unterm Hammer

Stan Lees Autogramm, Herzls Foto, das Programm von Bernsteins erstem Israel-Konzert und viele andere Originale werden in diesen Tagen versteigert

von Sabine Brandes  25.12.2025

Menschenrechte

Die andere Geschichte Russlands

»Wir möchten, dass Menschen Zugang zu unseren Dokumenten bekommen«, sagt Irina Scherbakowa über das Archiv der von Moskau verbotenen Organisation Memorial

 25.12.2025

Rezension

Großer Stilist und streitbarer Linker

Hermann L. Gremliza gehört zu den Publizisten, die Irrtümer einräumen konnten. Seine gesammelten Schriften sind höchst lesenswert

von Martin Krauß  25.12.2025

Glastonbury-Skandal

Keine Anklage gegen Bob-Vylan-Musiker

Es lägen »unzureichende« Beweise für eine »realistische Aussicht auf eine Verurteilung« vor, so die Polizei

 24.12.2025

Israel

Pe’er Tasi führt die Song-Jahrescharts an

Zum Jahresende wurde die Liste der meistgespielten Songs 2025 veröffentlicht. Eyal Golan ist wieder der meistgespielte Interpret

 23.12.2025

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025