Büro

Warum unsere Redakteurin alle ihre Mails endgültig gelöscht hat

Foto: Getty Images/iStockphoto

Zehn Tage vor den Sommerferien: Ich wollte endlich meinen Schreibtisch aufräumen. Eigentlich hätte mich schon stutzig machen müssen, dass da plötzlich 1900 E-Mails in meinem elektronischen Papierkorb lagen. Trotzdem habe ich die Frage »Endgültig löschen?« mit »Ja« beantwortet. Danach gab es nur noch eine einzige E-Mail in meinem Posteingang. Die gesamte Korrespondenz der letzten drei Monate war verschwunden.

»Fehlt mir jetzt was?«, fragte ich mich nach dem ersten Schreck. (Nein.) Dann: »War etwas existenziell Wichtiges dabei?« (Ich hoffe nicht.) Und schließlich: »Warum habe ich das bloß getan?« (Dem Problem könnte ich auf der Analytikercouch auf den Grund gehen, falls ich dazu Zeit und Lust hätte, aber ich kann das Prä-Urlaubs-Syndrom durchaus selbst diagnostizieren.)

ferien In den Ferien fahren wir übrigens nach Tirol. Deshalb rekurriere ich an dieser Stelle auf einen Schlager des österreichischen Liedermachers Peter Cornelius: »Wenn i so überleg, worum’s im Leben geht, / Dann sicher net um des, wofür i leb’. / I arbeit’s ganze Jahr lang, schön brav für’s Finanzamt, / I frag mi, ob des ewig so weitergeht. / I bin reif, reif, reif, reif für die Insel.«

War der Inhalt der E-Mails mein Problem? Vor mehr als zehn Jahren, als ich bei dieser Zeitung anfing, haben mich manche Zuschriften total nervös gemacht. Vor allem von den Herren Rabbinern. So gut wie jeder Journalist kommt einer einfachen Bitte nach (»Ihren Text brauche ich bis 14. September, 10 Uhr«) – oder er verhandelt über die Deadline.

Der Rabbi hingegen schreibt: »Mit Gottes Hilfe erreicht Sie der Text bis zum 14. September.« Und ich fragte mich erschrocken: Falls Gott ihm nicht hilft, sitze ich dann am 14. September vor einer leeren Seite? Mittlerweile weiß ich, dass den Rabbinern (fast) immer und spätestens am 15. September geholfen wird. Außerdem habe ich natürlich einen riesigen Stehsatz.

post Auch Post von eitlen Autoren (»Wenn Sie wie ich promoviert hätten …«, »Meine Länge ist eine Frage der Qualität!« oder »Ich lehne Ihren Eingriff in meinen einzigartigen Stil entschieden ab. Das war meine letzte E-Mail an Sie!«) erschrecken mich nicht mehr. Bisher konnte ich noch jeden Textstreit diplomatisch entschärfen.

Gelegentlich schreiben mir Antisemiten. Aber die sind inzwischen blockiert, möge die Ruhe lange anhalten. Der Stress mit den Mails ist also nicht dem Content, sondern der schieren Menge geschuldet – diesem erschlagenden Gefühl, nie alles gelesen und irgendetwas wahnsinnig Wichtiges verpasst zu haben, weil sich das Postfach so schnell wieder füllt.

»Du hast alle E-Mails endgültig gelöscht?«, fragte mich unser IT-Experte erstaunt. Er empfindet den Fall als Herausforderung. Ich wiederum hoffe, dass es keine Lösung gibt. Oder erst dann, wenn ich schon im Zug sitze oder längst in Österreich angekommen bin. Auf der Alm, da gibt’s keine E-Mails, das sogenannte Smartphone bleibt auch in Berlin! Nach dem Urlaub geht sowieso alles wieder von vorne los: »Wenn i einmal ins Postkastl schau, / Wird mir im Magen flau …«

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  08.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  08.11.2025

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025

Erinnerung

Stimmen, die bleiben

Die Filmemacherin Loretta Walz hat mit Überlebenden des KZ Ravensbrück gesprochen – um ihre Erzählungen für die Zukunft zu bewahren

von Sören Kittel  07.11.2025

New York

Kanye West bittet Rabbi um Vergebung

Der gefallene Rapstar Kanye West hat sich bei einem umstrittenen Rabbiner für seine antisemitischen Ausfälle entschuldigt

 07.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  07.11.2025

Paris

Beethoven, Beifall und Bengalos

Bei einem Konzert des Israel Philharmonic unter Leitung von Lahav Shani kam es in der Pariser Philharmonie zu schweren Zwischenfällen. Doch das Orchester will sich nicht einschüchtern lassen - und bekommt Solidarität von prominenter Seite

von Michael Thaidigsmann  07.11.2025

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025