Glosse

Der Rest der Welt

Foto: Getty Images

Bin gerade zurück vom Machane-Bus und habe die Zwillinge samt Sandwiches, Wasserflaschen, Sonnencreme und guten Wünschen verabschiedet – ab zum Sommer-Machane der Bne Akiva! Die Szene am Bus ist jedes Jahr die gleiche: Die Kids verschwinden mit ihren Freunden in den Bus, wo sie meine Sandwiches in die Ecke treten und sich dann mit Süßigkeiten und Chips vollstopfen. Laut dröhnende Musik und fröhliches Geschnatter dringen aus dem Bus zu uns Eltern – wo die Atmosphäre frostig ist.

Wie jedes Jahr treffen mich kühle Seitenblicke von den anderen Müttern, den perfekt gestylten mit ihren glänzenden Täschchen und elegant wippenden Röckchen, mit ihren perfekt manikürten Nägeln und ihrem duftig geföhnten Haar – während ich wieder einmal aussehe wie ein Schlock, mit Schlabber-T-Shirt, Flipflops, schlafverklebten Augen und leicht verfilzter Frisur.

Es ist jedes Jahr dasselbe, und immer habe ich einen anderen Grund, auszusehen wie ein Höhlenmensch. Dieses Jahr habe ich einfach eine sehr, sehr lange Nachtschicht hinter mir. Heute morgen habe ich mich aus dem Bett und zur Kaffeemaschine gequält, bin dann quasi auf allen vieren zum Auto gekrochen, und hier bin ich nun und sehe aus, als hätte ich die Nacht unter einer Brücke verbracht.

Alles begann am Morgen zuvor, als meine Kinder ihre Koffer packen sollten. Zwilling A hatte wochenlang an ihrer Machane-Checkliste gefeilt, hat mehrere Ladungen Wäsche in die Waschmaschine, dann in den Trockner und dann in den Koffer verfrachtet und war am Abend Punkt 21 Uhr quasi reisefertig.

Ganz anders Zwilling B. Er hatte den Tag vor dem Fernseher verbracht, Handy und Chipstüte in der Hand. Sanfte Nachfragen nach dem Zustand seines Koffers wurden mit einem genuschelten »Mach’s gleich«, »Alles unter Kontrolle« oder mit einem demotivierten Grunzen beantwortet.
Als er dann kurz nach elf mit dem Kofferpacken beginnen wollte, musste er feststellen, dass sich sein gesamtes Machane-Outfit noch in der Schmutzwäsche befand. Ich kanzelte ihn nach allen Regeln der Kunst ab und schickte ihn zu Bett. Dann schüttete ich einen Energydrink in mich rein und begann einen Waschmaschinen-Trockner-Kofferpack-Marathon, der ungefähr bis vier Uhr morgens dauerte.

Und nun stehen wir hier vor dem Bus. Wie immer hat sich Zwilling A mit Umarmungen und Küssen von mir verabschiedet – während Zwilling B wortlos im Bus verschwunden ist. Ich trage es mit Fassung. Hat jemand einen Energydrink für mich?

Gerade will ich mich umdrehen und zum Auto zurückgehen, da löst sich eine schlanke, hochgewachsene Figur von der Gruppe seiner Freunde, steigt anmutig aus dem Bus und kommt auf mich zu – es ist Zwilling B! Vor allen anderen Müttern umarmt er mich, drückt mir einen Kuss auf die Wange und flüstert mir ins Ohr, ich sei die allerallerbeste Mama. Dann entschwindet er wieder in den Bus.

Die anderen Mütter starren mich neidisch an. Ich werfe schwungvoll mein verfilztes Haar zurück, zupfe mein gammliges T-Shirt zurecht, stolziere hoch erhobenen Hauptes zu meinem zerdellten Auto – und fühle mich fantastisch.

Bonn

Beethoven-Haus zeigt Ausstellung zu Leonard Bernstein

Die lebenslange Beschäftigung des Ausnahmetalents mit Beethoven wird dokumentiert

 25.04.2024

Potsdam

Chronist der neuen Weiblichkeit

Das Museum Barberini zeigt Modiglianis Menschenbilder in neuem Licht

von Sigrid Hoff  25.04.2024

München

Ausstellung zeigt Münchner Juden im Porträt

Bilder von Franz von Lenbach und anderen sind zu sehen

 25.04.2024

Wien

Spätwerk von Gustav Klimt für 30 Millionen Euro versteigert

Der Künstler malte das »Bildnis Fräulein Lieser« kurz vor seinem Tod

 25.04.2024

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024