Glosse

Der Rest der Welt

Eigentlich schmeckt alles mit Mayonnaise! Foto: Getty Images/iStockphoto

Glosse

Der Rest der Welt

Kamtschatka? Weihnachten? Alles Mayonnaise!

von Eugen El  23.12.2021 11:11 Uhr

Es war schon ein ziemlich harter Kontrast. Als wir im Spätsommer 1997 nach Deutschland kamen, landeten wir in einem Übergangswohnheim, von allen russischsprachigen Bewohnern einfach nur »Heim« genannt, am Rand einer ost-hessischen Kleinstadt. Die ersten Monate waren zumindest für die jüngere Generation spielerisch, aufregend und bunt – die neue, unbekannte Welt wollte ja schließlich erkundet werden.

Doch dann wurden die Tage kürzer und dunkler, und unweigerlich rückte das Jahresende näher. Von Chanukka hatten wir damals, wenn überhaupt, nur eine sehr begrenzte Ahnung. Auffallen wollte man ja auch nicht, und wo hätten wir in der landschaftlich zweifellos reizvollen Spessarteinöde überhaupt eine Chanukkia herbekommen sollen? Fragen über Fragen. Dabei wollten wir uns doch einfach nur integrieren.

Weihnachtslieder Vielleicht kauften meine Eltern deshalb auf einem Flohmarkt eine CD mit Weihnachtsliedern. Im kargen Übergangswohnheim wirkte »Stille Nacht, heilige Nacht« auf mich höchst deprimierend, war ich doch mit lärmend-trashiger 90er-Jahre-Popmusik auf raubkopierten Audiokassetten aufgewachsen.

Überhaupt war das in Belarus als »katholisch« bezeichnete Weihnachtsfest für uns ebenso unbekanntes Terrain wie Chanukka. Wenn überhaupt, beging man Weihnachten nach orthodoxem Ritus am 6. Januar. Doch vor allem feierte man »Nowyj God«, Silvester also, nach sowjetischem Ritus.

Mit andächtig-besinnlichem Liedgut hatte Nowyj God nur sehr wenig gemein. Eher war das Fest ein Anlass, zu viel Fettiges zu essen (Schichtsalat mit Hering! In Mayonnaise ertränkter Kartoffelsalat! Eigentlich alles mit Mayonnaise!) und dazu noch mehr Alkoholisches zu trinken.

Die »Jolka«, der reich geschmückte und idealerweise mit einem roten Stern gekrönte Tannenbaum und die feucht-fröhlichen Familienzusammenkünfte erinnern nur entfernt an das steif anmutende deutsche Weihnachtsfest. Und an Chanukka schon gleich gar nicht.

Minsk Als sehr praktisch allerdings erwies es sich am 31. Dezember, dass sich die ehemalige Sowjetunion über mehrere Zeitzonen, nämlich elf, erstreckte, sodass man etwa schon mittags auf das neue Jahr im fernöstlichen Kamtschatka anstoßen konnte und daher möglicherweise mehr als beschwipst war, als der Jahreswechsel endlich in Moskau und auch in Minsk eintrat.

Schon Tage zuvor wünschte man sich allerseits ein »Frohes kommendes neues Jahr«. Diese Tradition möchte ich auch nach 24 Jahren in Deutschland, auch nach 24-mal Rosch Haschana, Chanukka und Pessach nicht missen, daher also: С наступающим Новым годом!

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  19.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Kino

Unter erschwerten Bedingungen

Das »Seret«-Festival zeigt aktuelle israelische Filmkunst in Deutschland – zum ersten Mal nur in Berlin

von Chris Schinke  19.11.2025

Bonn

Bonner Museum gibt Gemälde an Erben jüdischer Besitzer zurück

Das Bild »Bäuerliches Frühstück« aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird restituiert

 19.11.2025

Perspektive

Humor hilft

Über alles lachen – obwohl die Realität kein Witz ist? Unsere Autorin, die israelische Psychoanalytikerin Efrat Havron, meint: In einem Land wie Israel ist Ironie sogar überlebenswichtig

von Efrat Havron  19.11.2025

New York

Rekordpreis für »Bildnis Elisabeth Lederer« bei Auktion

Bei den New Yorker Herbstauktion ist wieder ein Rekord gepurzelt: Ein Klimt-Gemälde wird zum zweitteuersten je versteigerten Kunstwerk – und auch ein goldenes Klo wird für einen hohen Preis verkauft

von Christina Horsten  19.11.2025