Finale

Der Rest der Welt

Alles mit Mandeln schmeckt: Törtchen, Muffins ... alles Foto: Getty Images

Nichts für Weicheier!«, steht unter dem WhatsApp-Foto. Schon wieder eine Angeber-Nachricht von meinem Bruder aus Israel, diesmal sieht man die ganze Family bei 40 Grad im Schatten beim Möbelschleppen.

Vor einer Woche haben sie Alija gemacht, und während ich, das dekadente kleine Weichei, im grauen Nieselwetter vor mich hinsumpfe, hat mein Bruder auf seiner neuen Terrasse bereits etliche Orangenbäume gepflanzt, seine schnieke neue Wohnung in Ra’anana eingerichtet, seine Kinder in handverlesene Eliteschulen eingeschrieben und nebenbei natürlich auch noch einen Job mit einem fürstlichen Salär gefunden.

Orangen Schön für ihn, nicht so schön für mein armes, verbeultes Ego! Ich will auch Orangen auf meiner Terrasse ernten und jedes Wochenende Grillpartys am Strand abhalten! Das Ganze beginnt, mir auf den Appetit zu schlagen, und als ich neulich nach zwei Marillenknödeln keinen Nachschlag mehr verlangte, begann ich meiner Mutter leidzutun. Sie stellte ein Tablett mit Mandeltörtchen vor mich hin und erzählte mir die Geschichte ihrer eigenen Alija.

Wir schreiben das Jahr 1948. Gerade ist das Einwandererschiff mit meinen Großeltern und meiner zweijährigen Mutter im Hafen von Haifa eingelaufen. Ihnen wird die Hälfte einer windschiefen Holzbaracke in Pardes Katz zugewiesen, ohne fließendes Wasser, mit einer Latrine hinter dem Haus. Schon einige Tage später beginnt meine Großmutter ihre neue Karriere als Tellerwäscherin, meinem klugen Großvater – stolzer Absolvent der Budapester Handelsakademie – wird ebenfalls ein Job zugewiesen, er weiß aber noch nicht, welcher.

Anzug Mit seinem schönsten zartgrünen Anzug und gelben Schuhen erscheint er zum ersten Arbeitstag. Er wird auf einen Lastwagen gesetzt, der circa fünf Kilometer von Tiberias anhält. Dann bekommt mein Großvater eine Schaufel in die Hand gedrückt und soll nun die Straße asphaltieren. Neben der Strasse stehen einige amerikanische Touristen, die eifrig Fotos machen und den Pioniergeist der frischgebackenen Einwanderer bewundern, während meinem Grossvater die Schwielen an den Händen wachsen.

Er beschließt kurzerhand, sich einen neuen Job zu suchen, und wird in einer Zigarettenfabrik angestellt. Einen Tag darauf bringt er meine Mutter zum ersten Mal in den Kindergarten. Sie macht ein Riesentheater, will nicht durch den heißen Sand gehen (die meisten Straßen waren damals noch nicht asphaltiert, siehe oben!), vielmehr soll mein Großvater sie bei 30 Grad Hitze auf den Schultern tragen. «Ja willst Du denn, dass ich zusammenbreche?”, schnauft er nach einem Kilometer Fussmarsch. «Ja!!” jauchzt meine Mutter, das verwöhnte kleine Gör.

spielplatz Kaum im Kindergarten angekommen, reißt sie sich los und rennt zum Spielplatz mit den vielen anderen Kindern. Mein Großvater bleibt fassungslos mit leeren Armen zurück. Eine kleine Träne ploppt in den heißen Sand und verdunstet sofort. Meine Mutter aber ist schon nach einem Tag die ungekrönte Königin des Kindergartens. Sie hat sogar einen kleinen Verehrer, der ihr die Kindergartentasche nach Hause trägt.

Wie spannend das alles ist! Ich kaue sinnierend am letzten Mandeltörtchen und denke an meinen ersten Tag im Kindergarten zurück: Ich klebte damals stundenlang heulend in einer Ecke, bis meine Mutter mich wieder abholen musste, die anderen Kinder bogen sich vor Lachen. Und was lernen wir daraus? Es können nun mal nicht immer alle tough und erfolgreich sein. Nein, es muss auch charmante Weicheier wie mich geben. Eine Welt voller Gewinnertypen wäre doch einfach nur langweilig, oder? Eben. Und jetzt gehe ich in die Küche, wo meine Mutter schon mit einer neuen Ladung Mandeltörtchen wartet.

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  30.04.2025

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025