Glosse

Jerusalem, das Ferkel und die alten Israeliten

Wahrscheinlich lebte das arme Ferkel auch nicht in Freilandhaltung auf judäischer Erde, sondern im ersten Stock in einer engen Box. Foto: Getty Images

Jeder Mensch hat so seine Illusionen. Meine liebste Vorstellung bis vor einigen Tagen: Die Juden von früher waren irgendwie besser als wir. Wobei »früher« natürlich ein dehnbarer Begriff ist. Wenn ich Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Scheunenviertel der 1920er-Jahre anschaue, denke ich immer: Die waren authentisch. Haben jüdisch geheiratet, kannten die Gebete, ein Schweineschnitzel kam ihnen nicht auf den Tisch.

Niemals wären diese Juden vor 100 Jahren in Versuchung geraten, sich bei einer Radtour durch die Mark Brandenburg in einem Café in Himmelpfort entweder eine gewöhnliche Bratwurst oder eine Wurst vom Uckermärker Wildschwein zu bestellen. Und wer waren wohl die Vorbilder der »echten« Berliner Juden? Unsere Urahnen aus dem Heiligen Land, die sich schon vor Tausenden von Jahren mindestens genauso regelkonform verhielten?

Lachs Um daran nicht zu zweifeln, sollte man einen Blick in die Hebräische Bibel tunlichst vermeiden (zu viele Sündige kommen dort vor). Das ließe sich einrichten, doch nun hat ein archäologischer Fund in Israel meine schönste Illusion komplett zerstört. Schon vor einigen Wochen kam ich ins Grübeln, als israelische Forscher anhand der Analyse von 21.000 Fischgräten nachweisen konnten, dass die Israeliten nicht nur Lachs und andere koschere Fische aßen, sondern auch gerne Haie und Welse zu verzehren pflegten. Die Sache mit den koscheren Meerestieren beziehungsweise Schuppen hatte sich bei manchen Israeliten bis in die Zeit des Zweiten Tempels offenbar noch nicht so herumgesprochen.

Aber das ist noch gar nichts gegen den neuesten Skandalfund aus der Davidsstadt in Jerusalem: Dort haben Archäologen ein rund 2700 Jahre altes Ferkelskelett ausgegraben – und das in einem Raum, in dem offensichtlich Speisen zubereitet und gegessen wurden. Der israelische Archäologe Joe Uziel sagt, dies sei nicht der erste Hinweis darauf, dass Juden in der Periode des Ersten Tempels, in der Eisenzeit, gelegentlich auch Schweinefleisch aßen!

Kibbuz Zur Rechtfertigung der Ferkelzucht in Jerusalem könnte man anbringen, dass die Speisevorschriften, die den Genuss von Schweinefleisch untersagen, sich erst in späteren Jahrhunderten herausgebildet hätten. Ich vermute etwas anderes: Wahrscheinlich war der Raum, von dem Joe Uziel spricht, in Wirklichkeit der Speisesaal eines antiken Kibbuz. Bestimmt wird bald der Gong ausgegraben, mit dem die antiken Kibbuznikim drei Mal am Tag zu den Mahlzeiten gerufen wurden.

Wahrscheinlich lebte das arme Ferkel auch nicht in Freilandhaltung auf judäischer Erde, sondern im ersten Stock in einer engen Box – wie in den israelischen Kibbuzim Mizra und Lahav, die sich der Schweinezucht verschrieben haben (die ist auf dem Boden des Heiligen Landes verboten). Eine echte Schweinerei! An die Lebensbedingungen der Tiere denken die Fans des »weißen Fleischs«, wie es auf Hebräisch heißt, natürlich nie, sondern nur an den Profit bei »Tiv Taam«. Da geht es dem Uckermärker Wildschwein viel besser! Wenn ich das nächste Mal durch Brandenburg fahre, ist meine Entscheidung eindeutig. Und wer waren jetzt nochmal die »echten« Juden?

Berlin

Mut im Angesicht des Grauens: »Gerechte unter den Völkern« im Porträt

Das Buch sei »eine Lektion, die uns lehrt, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten Menschen gab, die das Gute dem Bösen vorzogen«, heißt es im Vorwort

 17.09.2025

Israel

»The Sea« erhält wichtigsten israelischen Filmpreis

In Reaktion auf die Prämierung des Spielfilms über einen palästinensischen Jungen strich das Kulturministerium das Budget für künftige »Ophir«-Verleihungen

von Ayala Goldmann  17.09.2025

Berlin

»Stärker als die Angst ist das menschliche Herz«

Die Claims Conference präsentiert in einem Bildband 36 Männer und Frauen, die während der Schoa ihr Leben riskierten, um Juden zu retten

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Auszeichnung

Theodor-Wolff-Preis an Journalisten vergeben

Der Theodor-Wolff-Preis erinnert an den langjährigen Chefredakteur des »Berliner Tageblatts«, Theodor Wolff (1868-1943)

 17.09.2025

Los Angeles

Barbra Streisand über Dreh mit Robert Redford: »Pure Freude«

Mit dem Klassiker »The Way We Were« (»So wie wir waren«) brachen die beiden Stars in den 70er-Jahren Millionen Herzen. Nach dem Tod von Redford blickt Hollywood-Ikone Streisand zurück auf den Dreh

von Lukas Dubro  17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Für Toleranz, Demokratie: Margot Friedländer Preis vergeben

Es ist die erste Preisverleihung nach dem Tod der Stifterin. Ausgezeichnet wird der Einsatz für die Ideale der im Frühjahr gestorbenen Holocaust-Überlebenden

 17.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 16.09.2025

Eurovision Song Contest

Streit um Israel: ESC könnte wichtigen Geldgeber verlieren

RTVE ist einer der fünf größten Geldgeber des Eurovision Song Contest. Umso schwerer wiegt der Beschluss, den der spanische Sender verkündet

 16.09.2025