Kolumne

Der Rest der Welt

Es gibt vorweihnachtliche Bräuche, denen man sich auch als jüdische Mutter schlecht entziehen kann. Ich rede nicht vom Adventskalender, mit dem mein kleiner Sohn vergangenen Winter in der jüdischen Kita angeeckt ist. »Hier haben wir so etwas nicht!«, war die indignierte Reaktion. Denn das W-Wort (W wie Weihnachten) – so erzählte mir später eine der nichtjüdischen Kindergärtnerinnen – steht in der Kita auf dem Index. Und was es nicht gibt, kann man auch nicht feiern!

Halloween Nun könnten wir natürlich in diesem Jahr auf den Adventskalender verzichten – obwohl mein nichtjüdischer Mann es sehr genossen hat, mit dem Kleinen jeden Tag ein Türchen zu öffnen. Halloween habe ich schließlich auch ausfallen lassen, nachdem mein Sohn vor einem Jahr bei einer Massen-Kinder-Geisterparty im Botanischen Garten spurlos verschwand, als ich ihm kurz den Rücken zudrehte, um einen Kürbis zu kaufen. Ich brauchte eine gefühlte Ewigkeit, um meinen Kleinen wiederzufinden. Nie wieder Halloween!

Aber eines geht gar nicht – ein Herbst ohne Laternenfest. Ja, ich weiß, »kulturelle Eindeutigkeit« heißt das Zauberwort der jüdischen Erziehung. Nun gehört es aber zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen, mit einem Lampion durch den Park zu ziehen und Laternenlieder zu singen. Dass bei diesem Anlass des Heiligen Martin gedacht wird, hat uns in der antiautoritären Kita allerdings nie jemand erzählt.

Fisch-Bastelset Auch ich habe meinem Sohn den Heiligen verschwiegen – obwohl es fürwahr Schlimmeres gibt, als seinen Mantel mit den Armen zu teilen. Leider hatte ich für Erklärungen aber gar keine Zeit. Denn im Bastelshop hatte ich nicht etwa einen einfachen Lampion erworben, sondern ein kompliziertes Fisch-Bastelset. Eine Stunde, bevor wir losgehen wollten, traf mich die Gebrauchsanleitung wie ein Schlag ins Gesicht. (»Pausen Sie Kopf, Schwanz und Flossen auf weißes Transparentpapier durch und kleben Sie 46 Flossen einzeln an!«)

Sofort fühlte ich mich als miserable Mutter. Ich hatte kein Transparentpapier im Haus. Mein Sohn würde nicht die schönste Laterne von allen haben! Vor meinem Geiste erschienen Kindergärtnerinnen, jüdische und nichtjüdische, lachten laut und herzlich über mich und bastelten Laternen und Chanukka-Leuchter im Akkord.

Immerhin schaffte ich es, die Laterne rudimentär zusammenzustecken und den Kerzenhalter zu befestigen. Dann zog ich mit meinem Kleinen in das Freilandmuseum Domäne Dahlem. Wir sangen bei strömendem Regen »Ich geh mit meiner Laterne«, zusammen mit 100 Kindern, und zogen hinter einem Pferd und einer Trommel her. Mein Sohn hat sich amüsiert. Ich mich auch. Aber was mache ich jetzt mit dem Fisch-Bastelset? Ich glaube, ich klebe Kopf, Schwanz und die 46 Flossen an und bringe das Ganze in die Kita – für das nächste Rosch Haschana!

Washington D.C.

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