Glosse

Der Rest der Welt

Ich bin kein Held. Mein Lohn war dementsprechend.

Glosse

Der Rest der Welt

Lebensretter im Einsatz oder Warum ich nicht auf Herrn Hugentobler anstoße

von Beni Frenkel  21.11.2019 11:53 Uhr

Ich habe Herrn Hugentobler das Leben gerettet. Und das ging so: Herr Hugentobler, ein älterer Mann aus dem Viertel, läuft am Morgen immer seine Runden um die Häuser. Vor ein paar Wochen setzte sein Herz kurz aus, und der alte Mann kippte um. Leider nicht nach links auf die Wiese, sondern rechts gegen die Hauswand.

Seitenlage Er blutete. Ja, aus der Nase quoll Blut wie Lava aus einem aktiven Vulkan. Das habe ich von Weitem gesehen und bin sofort hingerannt. Ich habe Herrn Hugentobler in die Seitenlage gerollt und die Ambulanz gerufen.

Der Mann sah sehr übel aus. Blut, wohin man blickte. Mit einem Taschentuch versuchte ich, das Blut zu stoppen. Herr Hugentobler starrte mich an und sagte: »Herr Frenkel, Sie haben mir das Leben gerettet. Ich werde mich bei Ihnen erkenntlich zeigen!«

Ich antwortete ihm, dass er seine Gedanken anderen Dingen zuwenden soll. Ich hätte nur meine Pflicht getan und warte nun, bis die Ambulanz kommt.

Plötzlich kam seine Frau angerannt. Sie rief »Jesses«. Das ist Schweizer Mundart und bedeutet »Jesus Maria« oder einfach nur »Jesus«. Dann guckte sie mich dankbar an und sagte fast den gleichen Satz: »Herr Frenkel, dafür werden wir Sie belohnen!«

Ich murmelte wieder mein Sätzchen, dass ich doch nur meine Pflicht getan habe. Aber innerlich malte ich mir schon eine kleine Belohnung aus.

Ich murmelte wieder mein Sätzchen, dass ich doch nur meine Pflicht getan habe. Aber innerlich malte ich mir schon eine kleine Belohnung aus. Wie viel ist Herr Hugentobler wohl wert? Und meine Hose? Die war nämlich im Eimer.

Steuererklärung Es muss ja kein Widerspruch sein, ein Leben zu retten und ein paar Tausend Franken zu erhalten. Außerdem sind wir noch die Steuerrechnung schuldig. Ich sagte zu Herrn Hugentobler: »Darf ich Ihnen noch etwas zu trinken bringen, bevor die Ambulanz kommt?«

Herr Hugentobler schüttelte den Kopf. Dankbar guckte er mich an. »Das ist wirklich selten, Herr Frenkel!« Ich blickte verschämt zur Seite und betonte nochmals, dass ich kein Held sei.

Eine Woche später klopfte es an unserer Tür. Frau Hugentobler stand da und überreichte mir freudestrahlend eine Flasche Weißwein. Sie sagte: »Herr Frenkel, diese Flasche haben Sie sich wirklich verdient!«

Die Flasche hatte einen Wert von zehn Franken. Außerdem ist sie unkoscher. Das heißt also, ich darf den Wein nicht einmal trinken.

Ich stellte den Wein auf den Tisch und googelte. Die Flasche hatte einen Wert von zehn Franken. Außerdem ist sie unkoscher. Das heißt also, ich darf den Wein nicht einmal trinken.

Von unkoscherem Wein, so habe ich das einmal in der Jeschiwa gelernt, darf man gar keinen Profit ziehen. Ich darf den Wein nicht einmal einem Nichtjuden verkaufen oder verschenken. Nur Hunden, glaube ich, darf man ihn servieren.

Wenn ich das nächste Mal einem Menschen das Leben rette, sage ich gleich, dass ich nur eine Flasche Hermon oder Yarden will.

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  10.11.2025

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Marbach am Neckar

Schillerrede: Soziologin Illouz vergleicht Trump mit »König Lear«

Statt Selbstbeweihräucherung empfiehlt die Soziologin Eva Illouz in der Schillerrede 2025 den Zweifel und das Zuhören - nur das helfe aus der eigenen Echokammer heraus

 10.11.2025

Gespräch

Warum Uschi Glas bei Antisemitismus nicht schweigen will

Uschi Glas spricht mit Charlotte Knobloch über Schweigen und Verantwortung in Zeiten eines wachsenden Antisemitismus. Und entdeckt ein unbekanntes Kapitel in ihrer Familiengeschichte

 10.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Friede, Freude, Eierkuchen oder Challot, koschere Croissants und Rugelach

von Margalit Edelstein  09.11.2025

Geschichte

Seismograf jüdischer Lebenswelten

Das Simon-Dubnow-Institut in Leipzig feiert den 30. Jahrestag seiner Gründung

von Ralf Balke  09.11.2025

Erinnerung

Den alten und den neuen Nazis ein Schnippchen schlagen: Virtuelle Rundgänge durch Synagogen

Von den Nazis zerstörte Synagogen virtuell zum Leben erwecken, das ist ein Ziel von Marc Grellert. Eine Internetseite zeigt zum 9. November mehr als 40 zerstörte jüdische Gotteshäuser in alter Schönheit

von Christoph Arens  09.11.2025

Theater

Metaebene in Feldafing

Ein Stück von Lena Gorelik eröffnet das Programm »Wohin jetzt? – Jüdisches (Über)leben nach 1945« in den Münchner Kammerspielen

von Katrin Diehl  09.11.2025