Finale

Der Rest der Welt

Die Milch macht’s – zu Schawuot Foto: Thinkstock

Ich hätte nicht erwartet, dass Grundschullehrerinnen von heute den Muttertag in ihren Lehrplan integrieren. Deshalb war ich überrascht, als mir mein Sohn am Sonntag ein »Rätselheft zum Muttertag« überreichte. Unter der Überschrift »Wer ist wer?« beschreiben Viertklässler ihre Mütter.

Zauberhafte Sätze stehen darin: »Ich mag meine Mutter, weil sie so lieb ist« oder »Sie ist immer für mich da. Deswegen ist sie die beste Mama der Welt«. Mein Sohn schrieb: »Meine Mutter ist klein. Sie hat schwarze Haare, weil sie sie färbt. Meine Mutter ist zwischen 40 und 50 Jahren alt. Sie stammt aus Deutschland. Meistens hat sie Kopfschmerzen.«

Rabenmutter Irgendwie war ich ein bisschen beleidigt. Obwohl mein Sohn noch ein paar nette Sätze hinterhergeschoben hat: »Ich fände es schön, wenn sie nicht mehr so lange arbeiten müsste. Ich mag es, wenn sie in den Ferien mit mir rausgeht, zum Beispiel mit dem Fahrrad, oder bei schlechtem Wetter mit mir spielt.« Trotzdem fühlte ich mich als Rabenmutter und beschloss, bei der nächsten Migräneattacke die »Städte- und-Ritter-Erweiterung« der »Siedler von Catan« bis zum bitteren Ende durchzustehen.

Auch wenn es drei Stunden dauert und ich fast immer verliere.
Überhaupt will ich mehr Zeit für mein Kind haben – in ein paar Jahren bin ich sowieso abgeschrieben. Dann fiel mir Schawuot ein, und ich hatte schon wieder ein schlechtes Gewissen. »Erinnerst du dich noch an die Zehn Gebote?«, fragte ich meinen Sohn. Seine Antwort: »Ist schon so lange her …« Damit meinte der Neunjährige nicht etwa die Übergabe der Tora am Sinai, sondern seine Zeit in der jüdischen Kita. Seitdem hat er keinen jüdischen Religionsunterricht mehr gehabt.

Berlin Was nicht an mir liegt, sondern an der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Schön, dass man sich um die jüdischen Schulen kümmert. Aber was ist mit den Kindern, die staatliche Grundschulen besuchen? Seit Jahren höre ich Beteuerungen und Versprechen, dass bald mit dem Religionsunterricht für Grundschüler begonnen wird. All diese Schwüre und Gelübde werden rechtzeitig zu Jom Kippur wieder aufgelöst. Nie passiert etwas. Nie. Und wenn doch etwas angeschoben wird, verläuft es kurz darauf im Sand.

Ich frage mich: Wozu hat diese Gemeinde acht Synagogen, diverse Rabbiner/innen und Kantor/innen? Wozu bloß zahle ich Gemeindesteuern? Leider kann ich nicht glaubwürdig mit Austritt drohen, weil ich die ZWST-Statistik nicht nach unten ziehen will. Also wird mein Wunsch (und der vieler anderer jüdischer Eltern) nach Reli-Unterricht für den Nachwuchs in den Schubladen der Kultusbeamten schmoren, bis der Messias kommt.

Apropos: Anfang Juni ist in Berlin Spatenstich für einen jüdischen Bildungscampus. Wer mich kennt, weiß, dass ich meinen Sohn nicht dorthin schicke. Aber wieso schaffen die Lubawitscher, was unsere Gemeinde nicht hinbekommt? Soll ich meinem Sohn bis zu seiner Barmizwa etwa selbst die Tora beibringen? Ich verstehe leider nicht viel davon. Jetzt habe ich wieder Kopfschmerzen. Und der Käsekuchen ist auch noch nicht fertig. Chag Schawuot Sameach!

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 28. August bis zum 4. September

 27.08.2025

Sachbuch

Die Gruppe 47, Günter Grass und die ersten »Shitbürger«

»WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt rechnet in seinem neuen Bestseller »Shitbürgertum« auch mit der Kontinuität des deutschen Judenhasses ab. Ein exklusiver Auszug

von Ulf Poschardt  27.08.2025

Filmfestspiele

Gal Gadot wird zur Hassfigur in Venedig

In einem offenen Brief verlangen 1500 Unterzeichner die Ausladung der israelischen Schauspielerin von den Filmfestspielen. Doch die hatte offenbar nie die Absicht, nach Venedig zu kommen

von Nicole Dreyfus  27.08.2025

Atlanta

Woody Allen verteidigt Auftritt bei Moskauer Filmfestival

In einem CNN-Interview legt der Regisseur und Schauspieler dar, warum er an dem russischen Event teilnahm

 27.08.2025

Essay

Übermenschlich allzumenschlich

Künstliche Intelligenz kann Großartiges leisten. Doch nicht zuletzt die antisemitischen Ausfälle von Elon Musks Modell »Grok« zeigen: Sie ist nicht per se besser als ihre Schöpfer. Ein alter jüdischer Mythos wirft Licht auf dieses Dilemma

von Joshua Schultheis  27.08.2025

Archäologie

Vorform der Landwirtschaft: Steinsicheln für die Getreideernte

Funde aus einer Höhle in Zentralasien stellen Annahmen zur Entstehung der Landwirtschaft infrage. Offenbar liegen deren Ursprünge nicht nur in der Region Vorderasien, die auch das heutige Israel umfasst

von Walter Willems  26.08.2025

Digital

Initiative von Heidelberger Hochschule: Neuer Podcast zum Judentum

»Jüdische Studien Heute« als Podcast: Das neue Angebot der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg will alle zwei Wochen Forschungsthemen aufgreifen und Einblicke in die jüdische Lebenswelt bieten

von Norbert Demuth  26.08.2025

Zahl der Woche

1902

Fun Facts und Wissenswertes

 26.08.2025

TV-Tipp

»Barbie« als TV-Premiere bei RTL: Komödie um die legendäre Puppe

Im ersten Realfilm der 1959 von Ruth Handler erfundenen Puppe ist Barbieland eine vor Künstlichkeit nur so strotzende Fantasie

von Michael Kienzl  26.08.2025