Finale

Der Rest der Welt

Instagram-Sehnsüchte. »Ich sehne mich zum Beispiel in den Körper eines schlanken, blonden Models oder nach dem äußerst appetitlich aussehenden Schokoladenkuchen.« Foto: Getty Images

Zwei Umstände in meiner Kindheit gaben mir ein besonders großes Gefühl der Ungerechtigkeit: dass ich nicht an Machanot teilnehmen durfte und dass ich nicht als vollwertiges Mitglied der katholischen Kirche galt. Machanot gingen damals nicht, weil meine Mutter nicht jüdisch ist. Außerdem besuchte ich einen katholischen Kindergarten, weil er besonders nah an unserem Zuhause lag – und, wie ich hoffe, nicht, weil meine Eltern von vornherein planten, mir eine komplizierte interreligiöse Identität zu verpassen.

Dass sich meine zwei Sehnsüchte entgegenstanden, war meinem kindlichen, nach Religionsgemeinschaft dürstenden Ich komplett egal. Ich wollte Esspapier und später in den Beichtstuhl mit dem schönen Samtvorhang. Besonders laut sang ich deshalb christliche Kirchenlieder wie »Hevenu Schalom Alechem« mit – zumindest etwas Machane-Feeling brachte das schon.

Model Meine Sehnsüchte heute sind nur noch äußerst selten religiöser Natur, und ich füttere sie, wie viele meiner Altersgenossen, mit Instagram. Dort sehne ich mich zum Beispiel in den Körper eines schlanken, blonden Models oder nach dem äußerst appetitlich aussehenden Schokoladenkuchen. Sie sehen: Noch immer sind manche Wünsche widersprüchlich.

Bei meiner letzten etwa halbstündigen Instagram-Session – es ist Klausurenphase, irgendwie muss ich die Zeit ja rumkriegen – stieß ich endlich auf die Erfüllung meiner religiösen Wünsche: ein Instagram-Profil, das sich – und das denke ich mir nicht aus, sehen Sie nach – »Machane-Beichtstuhl« nennt. Meist jüdische Jugendliche schicken dem Admin Beichten, die er anonym postet.

Das herrliche christliche Bußsakrament und das Machane-Gemeinschaftsgefühl vereint und greifbar nah auf Instagram! Jeder, der wie ich noch nie auf einem Machane war, findet dort Antworten auf die allerdringendsten Fragen: Ob viel gekifft wird, ob »Machane-Zeit gleich One-Night-Stand-Zeit« heißt und ob J. und S. was miteinander hatten. Letztlich dreht sich aber auch dort alles um unerfüllte Träume und Wünsche: Manche sehnen sich nach der hübschen I. aus D., andere nach dem hotten Oberkörper von J., und wieder andere wünschen sich, die Jewrovison würde nicht immer auf Karneval fallen. Über diesen Post freute ich mich, trotz Karnevals-Abscheu, besonders: noch so eine getriebene interkulturelle Seele!

Vielfalt Überhaupt ist das Profil eine Schatzkiste für alle, die sich nach einem offenen Diskurs über Pluralität und Vielfalt im Judentum sehnen. Ein Nutzer schrieb: »Eyy bin stolzer moslem aber ich mag euch alle PS: kp wie ich auf diese Seite gekommen bin.« Zudem diskutiert man dort erbittert über orthodoxes (»unnötig religiös«) und liberales Judentum (haben das alles »komplett falsch interpretiert«).

Meine Sehnsüchte haben sich also unverhofft doch noch erfüllt. Jetzt ist endlich Platz für neue – sogar für welche, von denen ich niemals erwartet hätte, dass ich sie überhaupt verspüren könnte. Zum Beispiel, dass junge Juden und Muslime der deutschen Rechtschreibung und Grammatik etwas mehr Anerkennung schenken würden. An derartig seltsame Sehnsüchte muss ich mich auch ­erst einmal gewöhnen. Aber es ist ja Klausurenphase, und Sie wissen ja.

Marbach

Israelische Soziologin Eva Illouz hält Schillerrede

Illouz widme sich dem Einfluss wirtschaftlichen Denkens und Handelns und greife damit Widersprüche kulturgeschichtlich auf, hieß es

 16.07.2025

Berlin

Mögliche Einigung über Raubkunst-Plastik?

Streit um den Tänzerinnenbrunnen: Anwälte von Erben und Georg Kolbe Museum kamen zu erstem Treffen zusammen

 16.07.2025

Aufgegabelt

Teiglach

Rezepte und Leckeres

 16.07.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 17. Juli bis zum 25. Juli

 16.07.2025

New York/London

Punkband Bob Vylan muss auf Europatour verzichten

Nachdem es israelischen Soldaten den Tod gewünscht hat, fällt die Teilnahme des Duos an der Europatournee der Band Gogol Bordello ins Wasser

 16.07.2025

Cuxhaven

Deichbrand-Festival hält an Macklemore-Auftritt fest

Der Rapper Macklemore soll am Sonntag ein Konzert geben, obwohl er antisemitische Propaganda und Verschwörungstheorien über Israel verbreitet

 16.07.2025

Los Angeles

Ben Stillers »Severance« punktet bei Emmy-Nominierungen

Gleich zwei Satiren über die moderne Arbeitswelt räumen bei den Nominierungen für den wichtigsten Fernsehpreis der Welt ab. Auch für »The White Lotus« und einen Batman-Ableger sieht es gut aus

 16.07.2025

Restitution

»Das Ausmaß hat uns überrascht«

Daniel Dudde über geraubte Bücher, Provenienzforschung an Bibliotheken und gerechte Lösungen

von Tobias Kühn  15.07.2025

Haskala

Medizin für die jüdische Nation

Aufgeklärte jüdische Ärzte sorgten sich um »Krankheiten der Juden«. Das wirkte auch im Zionismus nach

von Christoph Schulte  15.07.2025