Finale

Der Rest der Welt

Das Türscharnier als Anfang einer schwierigen Recherche. Foto: Thinkstock

Vor einigen Monaten musste ich für meinen Großvater in den Untiefen des Internets nach Türscharnieren recherchieren. Das Türscharnier des bestimmt 1000 Jahre alten Kleiderschranks einer israelischen Freundin war nämlich kaputt, und ein neues musste her. Aber nicht irgendeines – wie mein Opa fand. Nein, das Original.

Seit dieser schwierigen Recherche umwirbt mich Amazon mit diversen Angeboten von Türscharnieren, obwohl ich persönlich wirklich kein Interesse an einem, sagen wir Connex-Aushebescharnier, verstellbar und verzinkt, für 6,99 Euro habe und auch kein Pendeltürband aus Edelstahl, 75 mm und rostfrei, kaufen möchte.

Opa Jedes Mal, wenn mir so eine Anzeige begegnet, ärgere ich mich. Sind wir nicht schon weiter? Müsste ein guter Algorithmus nicht erkennen können, dass ich nur eine verzweifelte Enkelin in nervenaufreibender Mission für ihren Großvater bin?

Facebook bestätigte: Wir sind schon weiter. Der Algorithmus des sozialen Netzwerkes hat offenbar eine bessere Menschenkenntnis. Er erkennt sogar Antisemiten, wie die Journalisten von ProPublica kürzlich in einem Versuch herausfanden. Extra für diese Zielgruppe schalteten sie Werbung.

Der Algorithmus benannte ihre Kategorie »Antysemityzm« – »Antisemitismus« auf Polnisch. Ein Algorithmus also, der Antisemiten anhand von Informationen, die sie über ihren Bildungsweg, Alter und Weltanschauung angeben, erkennt. Etwa 2274 Nutzer hatten in entsprechenden Freitextfeldern »Jew Hater« geschrieben. Um eine Werbeanzeige zu schalten, war das allerdings noch zu wenig.

ProPublica Wieder war Facebook fürsorglich und meinte: So erreicht ihr doch nicht genug Leser. Die Journalisten mussten weltoffen weitere Interessengruppen aufnehmen – zum Beispiel Menschen, die in ihrem Profil »German Schutzstaffel« erwähnten oder Sätze schrieben, die wie harmlose Do-It-Yourself-Anleitungen klingen, etwa: »Wie man Juden verbrennt.« Als die Mindestreichweite ermittelt war, ließ Facebook ProPublica wissen: »Your audience selection is great« – fast 5900 Menschen erreichten sie in Deutschland, Argentinien und den USA innerhalb von zwei Tagen.

Glücklich schienen die angepeilten Antisemiten mit den beworbenen Artikeln allerdings nicht. Lediglich etwa 100 Klicks und nur 13 Reaktionen wurden erzeugt. Da ist man wohl an äußerst faule Judenhasser geraten. Aber Facebook gab folgende Aussicht: Die Größe des potenziellen Publikums läge bei 108.000 Personen.

Überraschend ist das nicht. Eine Facebook-Seite, die Solidarität mit der verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel bekundete, gefiel 1000 Nutzern. Sich über den Facebook’schen Algorithmus aufzuregen, macht allerdings auch keinen Sinn, der ist schließlich nicht schuld. Er führt nur Befehle aus.

Hummus Wirklich neu ist nur, welche Möglichkeiten sich dadurch auftun: Großflächig möchte ich nun in der Antisemitismus-Zielgruppe von Facebook für Hummus-Restaurants werben, süße Dreidel für deren Kinder anbieten oder vielleicht sogar als Türscharniere getarnte Mesusot.

Leider hat Facebook die Werbekategorien inzwischen entfernt. Abgesehen davon wär es mir aber auch zu teuer gewesen: Für drei werbende Posts 30 Dollar zahlen? Dafür bin ich zu geizig. Da klicke ich mich doch lieber weiter durch die wunderbare Welt rostfreier Ersatzteile.

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