Finale

Der Rest der Welt

Also, ihr esst Knäckebrot mit rohem Meerrettich und Apfelkompott? Dann müsst ihr binnen weniger Stunden vier Gläser Wein trinken und obendrein noch eins für den Propheten vor die Tür stellen –habe ich das richtig verstanden?». Das war alles, was von meiner detaillierten, 20-minütigen Auflistung eines Sedermahls bei meiner Freundin übrig geblieben war – Quatschessen für nicht anwesende Geister und ein Haufen volltrunkener Juden.

Etwas pikiert zog ich es vor, an meinem Cappuccino zu nippen, und hielt es für angebracht, das Regnen der Frösche, einen brennenden Dornbusch und Brot, das vom Himmel fällt, erst gar nicht zu erwähnen. «Ich weiß noch was, ihr klopft euch auf die Schulter und müsst den ganzen Tag in der Synagoge stehen!», fügte sie stolz hinzu. Wenigstens hatte sie einige Fakten aus meinem Jom-Kippur-Exkurs vom vergangenen Jahr behalten – wenngleich auch diese klangen wie eine Freakshow im Namen Isaaks, Abrahams und Jakobs.

Tradition Ihre naive, ungewollt komische Zusammenfassung eines der bedeutendsten Feste unseres jüdischen Kalenders stimmt mich nachdenklich – was, hinter all den Bräuchen und individuellen Traditionen, bedeutet Pessach für mich?

Um dem auf den Grund zu gehen, muss ich drei Jahrzehnte Auszug aus Ägypten in meinen Gedanken Revue passieren lassen: Pessach war schon immer mein Lieblingsfest. Früher wegen des Finderlohns für den Afikoman, später dann wegen des vielen Weins und heute, da mein Großstadtalltag geprägt ist von unerwarteten Wendungen und sich immer wieder verändernden Abläufen, wegen der Ordnung – dem Seder.

Der alljährliche Familienseder, für den wir aus sämtlichen Ecken des Landes zusammenkommen, bringt Ordnung in unsere unterschiedlichen Abläufe und Lebenskonzepte. Er ist so schrecklich-schön vorhersehbar, da ich genau weiß, wie er vonstattengeht: Meine Mutter ist immer gestresst, egal wie lange sie im Voraus plant. Mein Bruder ist davon immer schrecklich genervt, ungeachtet dessen, dass er es seit 24 Jahren nicht anders kennt. Mein Großvater will immer pünktlich anfangen und scheitert am gemütlichen Kollektiv, mein Onkel kommt immer 15 Minuten zu spät.

Kampf Es gibt Essen, zu viel, was jeder mindestens einmal kommentieren muss. Man wünscht sich am Ende eines jeden Seders, der nächste möge in Jerusalem stattfinden, und nimmt sich vor, im kommenden Jahr auf gar keinen Fall so viel zu essen. Seit jeher bin ich mir bewusst darüber, dass Pessach den Auszug aus Ägypten, den erfolgreichen Kampf gegen Unterdrückung und die Freiheit des jüdischen Volkes bedeutet.

Doch der Gedanke daran, dass an diesem Abend über den gesamten Erdball jüdische Familien zusammensitzen – säkular, traditionell, Reform oder fromm – und einer für uns allen gültigen Ordnung folgen, bereitet mir immer wieder Gänsehaut.

Ani be’Seder – ich bin in Ordnung: Chag Pessach kascher we sameach.

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

 29.06.2025

Glastonbury

Polizei prüft Videos der Festival-Auftritte auf strafrechtliche Relevanz

Festival-Organisatoren: Parolen von Bob Vylan hätten eine Grenze überschritten

 29.06.2025

Literatur

Österreicherin Natascha Gangl gewinnt Bachmann-Preis 2025

Ihr poetischer Text »DA STA« begibt sich auf die Suche nach den versteckten Spuren eines NS-Verbrechens

 29.06.2025