Finale

Der Rest der Welt

Erwarten Sie diesmal bloß keinen lustigen Text von mir. Putin auf Expansionskurs, Pegida, IS-Terror und der Berliner Winter ... alles überhaupt nicht witzig. Nicht mal die Berlinale konnte mich aufheitern. Bisher habe ich nur zwei Wettbewerbsfilme gesehen – zuerst Jafar Panahi als Taxifahrer im Kampf gegen die iranische Zensur.

Doch dieser Lichtblick wurde zunichtegemacht durch einen dementen Sherlock Holmes, der sich unter Mühen an seinen letzten Fall erinnert – eine Frau, die sich nach zwei Totgeburten vor den Zug stürzte. Total stimmungsaufhellend.

S-Bahn Den Rest des Wochenendes habe ich im Bett verbracht, im Abwehrkampf gegen Winterviren. Was mich am meisten nervt: Mein Weg zur Arbeit dauert seit dem 16. Januar eine Stunde, weil die S-Bahn den Nord-Süd-Tunnel gesperrt hat. Zweimal umsteigen, das ist gezielter Terror gegen Juden aus Berlin-Friedenau! Lesen Sie noch? Sie müssen Philosemit sein, um dieses Kvetchen zu ertragen. Bleiben Sie dran ...

Zum Glück hat unsere Redaktion keinen Livestream. Sonst könnten Sie mitverfolgen, wie ich mir wegen der Weltlage und meinetwegen die Haare raufe. Als Berufsjüdin hat man es nicht leicht. Bis zu meinem 67. Geburtstag werde ich hinter Glasscheiben sitzen, beschützt von freundlichen Wärtern, und Meldungen über wachsenden Antisemitismus schreiben. Außerhalb der jüdischen Blase werden alle denken, ich sei paranoid. Zunahme des Antisemitismus, nur weil der S-Bahn-Tunnel gesperrt ist?

Als ob sich immer alles um die Juden dreht ... Dabei dreht sich doch alles ums Geld. Warum gewinne ich nicht im Lotto? Weil ich Glück in der Liebe habe. Aber was hat man vom Glück, wenn man keine Zeit hat? Hätte ich mir doch einen Villenbesitzer aus dem Grunewald geangelt! Dann würde ich jetzt Kaffeeklatsch für andere jüdische Hausfrauen vorbereiten und je nach Laune ein paar Zeilen schreiben. Ansonsten würde ich Bilder von meinen reizenden vier Kindern auf Facebook posten.

Chance Doch realistischerweise werde ich es nicht mal auf zwei Kinder bringen – die letzte Chance habe ich in unserem Israelurlaub vermasselt. Eher zufällig, mit meinem Sohn an der Hand, besuchte ich das Grab von Schimon Bar Jochai.

Ich fiel auf, als Einzige in langen Hosen. Sofort stürzte sich eine fromme Frau auf mich: »Sind Sie jüdisch? Verheiratet? Haben Sie von den Gesetzen der Familienreinheit gehört?« Ich suchte das Weite. Später wurde mir klar, dass Frauen am Grab des Weisen um Nachwuchs beten.

Nur ich nicht, und in der Mikwe war ich auch nur ein einziges Mal. Schon klar, dass Haschem nichts für mich tut. Aber einen Hoffnungsschimmer sehe ich: Für Juden aus dem Stadtteil Friedenau wird nicht Pessach, sondern der Wonnemonat Mai die Befreiung bringen. Am 4. Mai um 1.30 Uhr sind die Bauarbeiten am Nord-Süd-Tunnel beendet, behauptet die Berliner S-Bahn. Wehe, das stimmt nicht. Dann beschwere ich mich beim Antisemitismusbeauftragten der Jüdischen Gemeinde.

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Glosse

Das kleine Glück

Was unsere Autorin Andrea Kiewel mit den Produkten der Berliner Bäckerei »Zeit für Brot« in Tel Aviv vereint

von Andrea Kiewel  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Ab jetzt nur noch mit Print-Abo oder Es gibt viele Gründe, auf 2026 anzustoßen

von Katrin Richter  20.12.2025

Musik

Louis-Lewandowski-Festival hat begonnen

Der Komponist Louis Lewandowski hat im 19. Jahrhundert die jüdische Synagogenmusik reformiert. Daran erinnert bis Sonntag auch dieses Jahr ein kleines Festival

 18.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  18.12.2025