Finale

Der Rest der Welt

Nichts ist wahrer als Klischees. Nichts beschäftigt jüdische Mütter so sehr wie die Ausbildung ihrer Kinder. Als ein solcherart wandelndes Klischee zerbreche ich mir deshalb seit Monaten den Kopf: Wo soll mein Sohn die Schulbank drücken, wenn er im kommenden Sommer sechs Jahre alt sein wird?

»Deine Sorgen möchte ich haben«, sagen meine Freundinnen, die nicht in Berlin wohnen. Ich gebe zu, ich habe ein Luxusproblem: Zur Auswahl stehen mehrere Privatschulen, die alle einen guten Ruf haben. Als ich in den 70er-Jahren eingeschult wurde, gab es keine Qual der Wahl. Man schickte die Kinder in die Schule um die Ecke – in meinem Fall eine Dorfgrundschule in Baden-Württemberg, in der ich das einzige jüdische Kind in der Klasse war.

Hebräisch Beim Religionsunterricht – getrennt nach katholischen und evangelischen Schülern – musste ich vor der Tür sitzen (einen Aufenthaltsraum gab es nicht). Der Pfarrer, der an die anderen Schüler angeblich Ohrfeigen verteilte, bemitleidete mich, weil mir meine Eltern nicht erlaubten, von Jesus zu erfahren. Englischunterricht war erst ab der fünften Klasse üblich, von Hebräisch ganz zu schweigen. Und dass ein Mensch weder evangelisch noch katholisch sein sollte, fanden meine Mitschüler unbegreiflich.

Mein Sohn soll es natürlich besser haben: Bisher war ich fest entschlossen, den Kleinen in eine jüdische Schule zu schicken. Doch ausgerechnet ein Israel-Urlaub hat meinen Plan ins Wanken gebracht. Meine Verwandten waren entzückt von den Englischkenntnissen meines Sohnes aus der Kita. Dass er nur wenige Wörter Iwrit spricht, störte sie gar nicht. »Jüdische Schule – wozu?«, fragte mein ultrasäkularer Cousin. »Lass ihn was Anständiges lernen. Wenn er unbedingt nach Israel einwandern will, geht er in den Ulpan. Nach drei Monaten kann er Hebräisch.«

Identität Ich diskutierte das Thema mit meiner Freundin, die in einem orthodoxen Moschaw lebt und ihre Töchter auf eine religiöse Mädchenschule schickt – jeden Tag eine Stunde mit dem Bus hin und zurück. »Es geht doch um die jüdische Identität«, sagte ich. »In der jüdischen Schule feiert man Pessach, Purim und Rosch Haschana!« »Ach was, das kannst du doch mit ihm zu Hause feiern«, meinte meine Freundin, die aus Norwegen nach Israel eingewandert ist. »Er sollte eine Weltsprache lernen: Englisch!

Wer spricht denn schon Hebräisch? Oder Norwegisch? Nur ein paar Millionen Menschen.« »Aber ich kenne doch so viele jüdische Mütter«, entgegnete ich und dachte an die vielen Stunden, die wir gemeinsam in der Turnhalle, auf dem Spielplatz oder bei Geburtstagen verbringen. »Das ist ein gutes soziales Netz.« »Geht es um dich oder um deinen Sohn?«, fragte meine Freundin. Ehrlich gesagt, ich weiß überhaupt nicht mehr, worum es geht. Um meinen Sohn? Um das Judentum? Um Israel? Oder um mich? Zum Glück dauert es noch über ein Jahr bis zur Einschulung.

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