Musik

Der Rebbe rockt

Jiddisch mit Korsett: Sharon Brauner Foto: Jan Wirdeier

Evergreens haben musikalisch etwas von einem zweischneidigen Schwert an sich. Man hört sie gerne, weil man die Lieder kennt und mag; aus eben diesem Grund nimmt man sie aber oft auch nur mit halbem Ohr und nebenbei wahr. Evergreens so zu präsentieren, dass das Publikum mitgeht, als würde es die Songs zum ersten Mal im Leben hören, verlangt von Interpreten ein hohes Maß an Kunstfertigkeit.

bluesstimme Sharon Brauner schafft das in ihrem neuen Programm Bei mir bist Du schön in der Berliner Bar jeder Vernunft. Wenn die 41-Jährige als zweite Nummer, das Lied vom Rebbe Elimelech singt, kommt nur kurz nostalgisches Wiedererkennen auf. Dann aber rockt der Rebbe. Brauner steigert das Tempo und legt in die jiddische Volksweise eine stimmliche Kraft, die jedem Blues gut anstünde. Und sie bewegt sich auf der Bühne mit einer Energie, wie man sie sonst nur von Rockkonzerten kennt. Janis Joplin oder Gianna Nanini kommen einem in den Sinn.

Das ist mehr als nur eine perfekte Show. Sicher, jede Geste, jede Bewegung sitzt. Schließlich ist Sharon Brauner ausgebildete Schauspielerin. Sie hat am legendären Lee-Strasberg-Institute in New York studiert und in mehr als 50 Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt. Aber im Spiegelzelt an der Schaperstraße tritt sie nicht als Darstellerin auf. Den Schweiß im Gesicht und auf dem Körper nach jeder Nummer kann man nicht simulieren. Ebenso wenig wie den Enthusiasmus, den die Sängerin ausstrahlt. Ihr macht das, was sie tut, sichtlich Spaß. Sie freut sich wie ein kleines Mädchen. Brauner ist authentisch. Entweder das, oder eine geniale Actrice.

lebensfreude Authentisch ist auch das Material, das sie vorträgt. Kein Klesmer. Der war nie, entgegen einer in Deutschland weitverbreiteten Vorstellung, die Musik der Juden Osteuropas. Wirklich populär waren Volksweisen – Belz und Die Mame ist gegangen etwa, oder Schlager vom Typ Bei mir bistu schejn und der hinreißenden Hommage an Amerikas jüdisches Rentnerparadies Miami Beach.

Brauner hat diese Songs nicht vom Blatt einstudieren müssen. Sie kennt und liebt sie, seit sie mit neun Jahren den Plattenschrank im elterlichen Wohnzimmer entdeckte. Andere, wie Zu vil lib hat ihr der Vater vorgesungen, als sie ein Mädchen war.

Der schon erwähnte Rebbe Elimelech »is geworn sejer frejlech« heißt es in dem Lied. Fröhlich geht es auch in dem Programm zu. Die Schoa ist kein Thema. Sharon Brauner ist keine Mahn- und Gedenksängerin. Sonderlich religiös ist sie auch nicht. Und sich nur unter Juden zu bewegen, kann sie sich kaum vorstellen. Sie erzählt von den Männern in ihrem Leben: Christen waren darunter, ein Moslem, immerhin ein Jude auch.

Aber der, berichtet sie, hatte eine Hundehaare-Allergie und stellte sie vor die Wahl: Der Hund oder ich. Wie Brauner sich entschieden hat, sieht man nach dem Konzert, bei der Premierenparty. Da wuselt ein kleiner schwarzer Mischling durch die Menge ähnlich quirlig wie seine Besitzerin.

entspannt jüdisch Wer dieses Konzert besucht, bekommt auf diese Art und Weise ganz nebenbei eine Lektion in entspannter jüdischer Normalität. Zu dieser Normalität gehört auch, dass sich Juden nicht ständig nur mit Jüdischem beschäftigen, sondern hauptsächlich mit denselben Dingen wie andere Leute auch. Weshalb das Programm nur zur einen Hälfte aus jüdischen Liedern besteht, zur anderen aus eigenen, deutschsprachigen Songs, in denen es vor allem um die Liebe geht – die romantische wie die handfeste körperliche.

Wer authentische jüdische populäre Musik liebt oder sie kennenlernen will, muss jetzt nicht mehr auf die alten Barry-Sisters- oder Sophie-Tucker-Aufnahmen von anno dazumal zurückgreifen. Es gibt Sharon Brauner hier und heute. Bis zum 24. Juli tritt sie auf.

Und wenn die Bar jeder Vernunft ihre erfolgreiche Cabaret-Inszenierung mal wieder neu besetzt, sollte man an dort an Brauner denken. Die Frau würde eine prima Sally Bowles abgeben.


Sharon Brauner & Band: »Bei mir bist Du schön!«
Bis 24. Juli in der Bar jeder Vernunft
Schaperstraße 24, 10719 Berlin

www.bar-jeder-vernunft.de

Nachruf

Trauer um Hollywood-Legende Arthur Cohn

Arthur Cohn war immer auf der Suche nach künstlerischer Perfektion. Der Schweizer Filmproduzent gehörte zu den erfolgreichsten der Welt, wie seine Oscar-Ausbeute zeigt

 12.12.2025

Computerspiel

Lenny Kravitz wird James-Bond-Bösewicht

Als fieser Schurke will der Musiker im kommenden Jahr dem Agenten 007 das Leben schwer machen – allerdings nicht auf der Kinoleinwand

 12.12.2025

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

Aufgegabelt

Latkes aus Dillgürkchen

Rezepte und Leckeres

 12.12.2025

Kulturkolumne

Lieber Chanukka als Weihnachtsstress?

Warum Juden es auch nicht besser haben – was sich spätestens an Pessach zeigen wird

von Maria Ossowski  12.12.2025

Kommerz

Geld oder Schokolade?

Der Brauch, an den Feiertagen um Münzen zu spielen, hat wenig mit den Makkabäern oder dem traditionellen Chanukkagelt zu tun. Der Ursprung liegt woanders

von Ayala Goldmann  12.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Singend durch Paris oder Warum unser Chanukka-Song der beste ist

von Nicole Dreyfus  12.12.2025

Literatur

Deutsch-Hebräischer Übersetzerpreis für Helene Seidler

Die Schriftstellerin wurde für die Übersetzung des Romans »Unter Freunden stirbt man nicht« von Noa Yedlin ausgezeichnet

 12.12.2025

Zürich

Protest gegen ESC-Teilnahme Israels: Nemo gibt Pokal zurück

Mit der Zulassung Israels verrate der Gesangswettbewerb seine Werte von »Einheit, Inklusion und Würde für aller Menschen«, so Nemo

 12.12.2025