Rock

Der alte Mann und der Punk

Hardcore-Bühnenact: Iggy Pop Foto: imago

Rock

Der alte Mann und der Punk

Iggy Pop alias James Osterberg tritt in Berlin mit seiner Band »The Stooges« auf

von Lorenz Schröter  29.07.2013 20:53 Uhr

War seine erste Frau, Wendy Weissman, wirklich erst 14 Jahre alt bei der Hochzeit? Hat er wirklich gesagt, dass er Frauen hasst? Das ist das Problem mit Künstlern, die wirklich Großartiges vollbracht, die einen Nerv getroffen haben und zu Recht Legende, Ikone und so weiter sind. Man sollte nicht zu viel wissen über sie. Wobei es über Iggy Pop nur zwei oder drei nicht besonders gute Biografien gibt und viele Details äußerst ungesichert sind.

Fest steht: Geboren wurde er als James Newell Osterberg jr. 1947 in Muskegon, Michigan, als Sohn eines ehemaligen Geldeintreibers und späteren Lehrers sowie einer Sekretärin. Iggy wurde er nach seiner Highschool-Band, den »Iguanas« genannt, Pop nach einem Klassenkameraden mit genetisch bedingter Haarlosigkeit, als sich James für ein Konzert die Augenbrauen abrasierte.

Er wuchs in einem Trailerpark in Ypsilanti auf, trug Loafers und Kaschmir-Pullis, spielte Golf, rauchte nicht, trank nicht und lernte Schlagzeug. Er liebte den Blues und freundete sich mit den Ashton-Brüdern an, zwei hartgesottenen Tunichtguten, Schlägern mit Nazi-Fimmel und Hot Rods, sprich, aufgemotzten US-Oldtimern. Gemeinsam sahen sie The Doors und MC5 bei Auftritten im nahen Detroit und gründeten 1967 ihre Band »Iggy Pop and the Stooges«.

Platten Die Stooges spielten rauen Psychedelic-Rock, nahmen zwei Platten auf, lösten sich auf – zu wenig Erfolg, zu viel Streit und Drogen –, kamen aber auf Initiative von David Bowie wieder zusammen, nahmen wieder Platten auf, lösten sich erneut auf. Iggy Pop wurde Solo-Künstler. 1976 zog er mit David Bowie nach Berlin in die Hauptstraße 156 in Schöneberg. Bowie produzierte zwei Platten mit ihm.

Das ist alles natürlich legendär. Viel bedeutender jedoch ist das Live-Erlebnis. Wenn Iggy sich beim ersten Song das
T-Shirt von seinem mageren, muskulösen Körper reißt, sein Rindengesicht verzerrt und »I wanna be your dog« brüllt – ein Song mit eigenem Wikipedia-Eintrag, 438. Greatest Song of all Time, laut dem Musikmagazin Rolling Stone. Einmal erklärte Iggy, der Text sei aus einer falsch verstandenen Blueszeile »Baby please don’t go« heraus entstanden, ein andermal, beim Anblick einer schönen Frau, die ihren Hund so unschuldig lieb hat. Manche halten es auch für einen Sado-Maso-Song.

Aber das ist alles nicht wichtig. Der Mann hat sich mehrfach die Brust mit Glasscherben aufgeschnitten, sich mit Erdnussbutter beschmiert, einige obszöne Akte in der Öffentlichkeit begangen, also während der Show, und hat ein Jahrzehnt lang seine Texte im Heroin- und Kokainrausch geschrieben.

bowie So richtig erfolgreich war Iggy Pop nie. Er ist vermutlich charakterlich nicht sehr einwandfrei, to say the least. Aber er gilt als Urvater des Punkrocks. Er hat das grandiose Lust for Life aufgenommen (produziert von David Bowie in den Berliner Hansa-Studios), und wenn Sie, lieber Leser, liebe Leserin, vielleicht mit dem Krach von I wanna be your dog nichts anfangen können, empfehle ich die Live-Version zusammen mit den etwas ruhigeren Titeln The Passenger oder Lust for Life.

Der prägende Gitarrenakkord ist angeblich vom Morsezeichen zu Beginn der Sendungen im American Forces Network-Radio Berlin inspiriert. Im Wikipedia-Artikel über den Song wird zudem die Herkunft und weitere Verwendung des Schlagzeugrhythmus in der Popgeschichte ausgeführt. Man hört den einprägsamen Rhythmus auch öfter als Musikakzent in RTL- Dokumentationen.

Es mag nicht alles klar sein bei Iggy Pop. Was wurde später eigentlich aus Wendy Weissman (die Ehe endete nach vier Wochen)? Warum lebte Iggys Familie in einem Wohnwagen, wenn sein Vater Lehrer war? Stimmen die Frauengeschichten? Es gibt trübe Legenden, noch trübere Drogen-Interviews, widersprechende Angaben, ob er jüdisch ist (das Standardwerk über jüdischen Punk The Heebie-Jeebies at Cbgb’s sagt ja).

Egal. Wenn Sie einen alten Mann von 66 Jahren sehen wollen, der wild herumspringt, seine Schnittlauchhaare schüttelt und mit dem Mikroständer unanständige Bewegungen macht, wenn Sie also Rock ‹n’ Roll sehen wollen: Kommen Sie am 6. August um 19 Uhr in die Spandauer Zitadelle in Berlin zu Iggys einzigem Deutschlandkonzert.

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

 29.06.2025

Glastonbury

Polizei prüft Videos der Festival-Auftritte auf strafrechtliche Relevanz

Festival-Organisatoren: Parolen von Bob Vylan hätten eine Grenze überschritten

 29.06.2025

Literatur

Österreicherin Natascha Gangl gewinnt Bachmann-Preis 2025

Ihr poetischer Text »DA STA« begibt sich auf die Suche nach den versteckten Spuren eines NS-Verbrechens

 29.06.2025