Martin Heidegger

Denker des Judenhasses

Das »wesenhaft ›Jüdische‹ im metaphysischen Sinne«: Martin Heidegger Foto: dpa

Martin Heidegger

Denker des Judenhasses

Donatella Di Cesare liest die »Schwarzen Hefte« des Philosophen

von Kevin Zdiara  22.02.2016 19:31 Uhr

Die Veröffentlichung der »Schwarzen Hefte« des deutschen Philosophen Martin Heidegger im Frühjahr 2014 befeuerte noch einmal die Debatte über den Antisemitismus des Denkers. Diese knapp 1300 Seiten, die Heidegger zwischen 1931 und 1975 verfasst hatte, ließen an seinem Judenhass und seiner antijüdischen Obsession eigentlich keine Zweifel. Dennoch wird vonseiten der Heidegger-Anhänger abgewiegelt und relativiert. So meinte etwa der Vorsitzende der Heidegger-Gesellschaft, Helmuth Vetter, es lasse sich auch jetzt nicht von einem »rassisch begründeten Antisemitismus« bei Heidegger sprechen. Die Bewertung der »Schwarzen Hefte« ist somit noch nicht abgeschlossen.

Diese Debatte greift die italienische Philosophin Donatella Di Cesare mit ihrem Buch Heidegger, die Juden, die Shoah auf. Die Professorin für Philosophie an der Universität La Sapienza in Rom ist eine exzellente Kennerin des Werkes von Martin Heidegger. Sie war mehrere Jahre Vize-Vorsitzende der Heidegger-Gesellschaft, bis sie im Frühjahr 2015 diese Position aufgab, da ihrer Meinung nach die Gesellschaft kein Interesse an einer ehrlichen Aufarbeitung des Heidegger’schen Antisemitismus hatte. Daneben beschäftigt sich Di Cesare in ihrer Forschung mit jüdischer Philosophie und geht der Bedeutung der Schoa für die Philosophie nach.

Gesamtwerk In ihrem Buch spricht sie sich zunächst gegen eine selektive Leseweise von Heideggers Werk aus. Sie betont, dass die »Schwarzen Hefte« von Heidegger selbst explizit zur Veröffentlichung vorgesehen waren und damit natürlich als Teil des philosophischen Gesamtwerks gesehen werden müssen. Sie beginnt ihre Auseinandersetzung mit Heidegger aber zunächst mit einer Skizze des Antisemitismus im deutschen Denken und der deutschen Philosophie. Knapp, aber kenntnisreich arbeitet sie die Bedeutung des Juden als des störenden Anderen, den es auszulöschen gilt, in den Werken von Luther, Kant, Hegel und Nietzsche heraus.

In diese Linie deutschen Denkens gehört für Di Cesare auch Heidegger. Der Judenhass des Freiburger Philosophen sei, so die Autorin, ein »metaphysischer Antisemitismus«. Somit sei er nicht nur ein biografisches Detail, sondern ein Konstitutivum des Denken Heideggers. Die Juden werden bei ihm gebrandmarkt als Agenten der Metaphysik und des damit einhergehenden neuzeitlichen Rationalismus, die Heidegger durch seine Philosophie zu überwinden suchte. Dabei zeigt Di Cesare klar auf, dass Heidegger sich nicht für die Vielfalt und Lebendigkeit des Judentums interessiert, vielmehr braucht er den abstrakten Juden, weil er nur so für ihn zur Inkarnation des Bösen werden kann, zum »metaphysischen Feind«, wie Di Cesare schreibt.

Gewissenhaft setzt sich die Italienerin mit den Gedankengängen in den »Schwarzen Heften« auseinander, nur um jedes Mal feststellen zu müssen, dass Heidegger obsessiv immer wieder auf die Juden zurückkommt. Der sprachlich hochtrabende Denker greift in seinen Notizen auf antisemitische Motive zurück, die an Nazi-Propaganda erinnern: In »Stürmer«-Manier schwadroniert er über das »Weltjudentum«, die »Entrassung« durch die Juden, er wettert gegen den jüdischen Intellektualismus und seine Kulturpolitik und warnt vor dem »jüdischen Bolschewismus«.

Machenschaften Doch Heidegger muss gar nicht explizit von den Juden reden, um antisemitisch zu argumentieren. Gerade dies herausgearbeitet zu haben, ist ein großes Verdienst von Di Cesare. Denn wenn Heidegger über »Machenschaften«, »Bodenlosigkeit« oder »Verwüstung« schreibt, wird schnell klar, dass diese negativen Begriffe für ihn ausnahmslos mit den Juden verbunden sind. Indem sie das herausarbeitet, gräbt Di Cesare den Heidegger-Apologeten das Wasser ab, die Antisemitismus nur an den Stellen sehen wollen, wo ihr Meister ausdrücklich von Juden spricht.

Besonders erschreckend sind hierbei auch Heideggers Einlassungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Massenmord an den europäischen Juden ist für ihn nicht Folge des deutschen Antisemitismus. Vielmehr zeigt Di Cesare seine besonders perfide Interpretation der Schoa auf: Es war »das wesenhaft ›Jüdische‹ im metaphysischen Sinne«, das gegen das Jüdische gekämpft und sich so selbst vernichtet hat, schrieb Heidegger und machte so die Opfer im Nachhinein zu Tätern an sich selbst.

Die Lektüre von Di Cesares Buch ist vor allem auch deshalb ein großer Gewinn, weil sie nicht wie ein Epigone Heideggers dessen oftmals schwer verständlichen Jargon nachplappert. Stattdessen nimmt sie sich Zeit, um zu erklären und einzuordnen. Sie leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Verantwortung auch gerade der Philosophie für den eliminatorischen Antisemitismus und zeigt Heidegger als den philosophischen Apologeten des Hitlerismus, der er war.

Donatella Di Cesare: »Heidegger, die Juden, die Shoah«. Klostermann, Frankfurt/M. 2016, 406 S., 29,80 €

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