»Es wird wieder Tag«

Den Schrecken bannen

Minka Pradelski lässt ihre Protagonisten in ihrem zweiten Roman vielstimmig erzählen

von Frank Keil  17.10.2020 19:12 Uhr

Es ist eine fragile Welt, die wir lesend betreten. Foto: PR

Minka Pradelski lässt ihre Protagonisten in ihrem zweiten Roman vielstimmig erzählen

von Frank Keil  17.10.2020 19:12 Uhr

Die Warnung ist eindeutig und unmissverständlich: Sollte seiner Frau etwas passieren, dann würde er ihn umbringen, gleich hier im Krankenhaus, auf der Geburtsstation, wo das Leben beginnt. Aber der Arzt kann den Mann eine halbe Stunde später beruhigen: Mutter und Kind sind beide wohlauf. Und Leon Bromberger, der eben noch so wütende, weil werdende Vater, kann sein Kind stumm an sich drücken.

Kerl Dieses, die ersten Minuten auf der Welt, hat von seinem Vater zunächst keine gute Meinung, wie es uns in schnörkellosen Worten mitteilt: Was ist das für ein komischer, verschwitzter, nach Tabak riechender Kerl? Hätte es nicht einen jüngeren und vor allem schöneren Vater verdient? Und überhaupt: Kein Säugling begrüßt die Welt mit einem Lächeln!

Da sind wir einerseits weit gekommen, aber auch wieder am Anfang des fulminanten Romans Es wird wieder Tag der in Frankfurt am Main lebenden Schriftstellerin Minka Pradelski angelangt. Es ist ihr zweiter Roman, der erneut um eine zentrale Frage kreist: Wie weiterleben, wenn man nur knapp überlebt hat? Wie eine Heimat finden, wenn man eben noch durch die Welt gejagt wurde und jederzeit mit allem und dann dem Ende rechnen musste?

LEBEMANN Es ist eine fragile Welt, die wir lesend betreten und die wir mittels verschiedener Stimmen kennenlernen werden: Da ist das Kind, Bärel mit Namen, das, latent schlecht gelaunt, skeptisch, aber von Beginn an mit einer genauen Beobachtungsgabe ausgestattet, auf die Eltern und die Umgebung seiner Eltern schaut.

Beim Spazie­rengehen im Park mit dem Kinderwagen erkennt sie in einer zierlichen und schwangeren Frau die Aufseherin, die sie damals im Zwangsarbeitslager Liliput nannten.

Da ist Bromberger, der vordergründige Lebemann, der doch Halt sucht. Und da ist Klara, die Mutter, die Frau, der der Schrecken in die Glieder fährt, als sie in einem Park beim Spazie­rengehen mit dem Kinderwagen in einer zierlichen und schwangeren Frau die Aufseherin erkennt, die sie damals im Zwangsarbeitslager Liliput nannten.

Was soll sie tun, was wird geschehen? Und wird es helfen, was ihr Mann ihr rät – alles aufzuschreiben, um so für sich das Böse abzuwehren und um nicht selbst böse zu werden?

GHETTO Und Klara setzt sich hin und erinnert sich. Erzählt uns von Martha, der ungarischen Opernsängerin, die im Lager vor der SS und vor Liliput singen musste. Berichtet, wie es ihren Eltern gelang, sie aus dem Ghetto zu schmuggeln; wie sie sich nun allein durchschlagen musste, von Versteck zu Versteck, weil nie eines sicher war; weil das, was sie bieten kann, eines Tages aufgebraucht und die Nächstenliebe der sie Versteckenden begrenzt ist. Schreibt auf, wie sie ihrem späteren Mann, jenem Bromberger, das erste Mal begegnete. Wie es war, als sie heirateten.

Wir werden erfahren, welch profaner Grund dazu führte, dass jener Leon Bromberger Klara erwählte und nicht eine andere Frau.

Es ist eine nicht nur etwas andere Geschichte, als wir sie später von ihrem Mann hören werden. Und wir werden auch erfahren, welch profaner Grund dazu führte, dass jener Leon Bromberger Klara erwählte und nicht eine andere Frau.

DP-CAMP Geboren wurde Minka Pradelski 1947 als Tochter von Überlebenden im DP-Camp Zeilsheim nahe Frankfurt am Main. Ihre Eltern können sich eine Zukunft im Nachkriegsdeutschland keinesfalls vorstellen, suchen das Glück in New York – aber werden dort nicht heimisch. Sie kehren zurück, noch lange unschlüssig, wie es weitergehen soll in der Großstadt am Main, die sie kennen. Wo Pradelski später Soziologie studieren und dann am Sigmund-Freud-Institut arbeiten wird. Ihr Feld: die Nachwirkungen der traumatisierenden Erlebnisse erkunden – und also erfahren –, mit denen die jüdischen Überlebenden ringen und rangen.

Und so öffnet sich für uns in diesem Roman auf ganz eigene, erzählerische und tatsächlich auch unterhaltsame Weise der Blick dafür, dass das immer wieder neue Erzählen und Berichten eine Chance bieten kann, den Schrecken am Ende zu bannen. Frank Keil

Minka Pradelski: »Es wird wieder Tag«. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/M. 2020, 384 S., 24 €

Geschichte

»Der ist auch a Jid«

Vor 54 Jahren lief Hans Rosenthals »Dalli Dalli« zum ersten Mal im Fernsehen. Unser Autor erinnert sich daran, wie wichtig die Sendung für die junge Bundesrepublik und deutsche Juden war

von Lorenz S. Beckhardt  23.03.2025 Aktualisiert

Fernsehen

»Mein Vater war sehr bodenständig«

Am 2. April wäre Hans Rosenthal 100 Jahre alt geworden. Zum Jubiläum würdigt ihn das ZDF. Ein Gespräch mit seinem Sohn Gert über öffentliche und private Seiten des Quizmasters

von Katrin Richter  23.03.2025 Aktualisiert

Porträt

»Das war spitze!«

Hans Rosenthal hat in einem Versteck in Berlin den Holocaust überlebt. Später war er einer der wichtigsten Entertainer Westdeutschlands. Zum 100. Geburtstag zeigt ein ZDF-Spielfilm seine beiden Leben

von Christof Bock  24.03.2025 Aktualisiert

Aufgegabelt

Blintzes mit Vanillequark

Rezepte und Leckeres

von Katrin Richter  23.03.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Krasse Party – aber worum gehtʼs eigentlich?

von Margalit Edelstein  23.03.2025

Stand-Up

»Comedy ist Tragödie plus Zeit«

Der Tel Aviver Yohay Sponder war kürzlich zu Gast in Berlin und Frankfurt. Ein Gespräch über Humor, den Witz seines Vaters und viele dumme Menschen

von Katrin Richter  23.03.2025

Hochschule

»Unsere Studierenden kommen alle sehr gut unter«

Sina Rauschenbach über Qualifikation für Museumsarbeit an der Universität Potsdam und die Jobchancen der Absolventen

von Ayala Goldmann  23.03.2025

Jubiläum

Hugo Egon Balder wird 75

Der Schauspieler blickt auf eine abwechslungsreiche Karriere zurück und ist derzeit mit einem eigenen Bühnenprogramm unterwegs

von Jonas-Erik Schmidt  22.03.2025

Bonn

Humanist und Konsumkritiker: Zum 125. Geburtstag von Erich Fromm

Schon vor Jahrzehnten warnte Erich Fromm vor einer Welt, in der Menschen ausschließlich funktionieren. Er analysierte Liebe, Freiheit und Verantwortung - mit tiefgründigem Blick, der zeitlos bleibt

von Paula Konersmann  21.03.2025