Josh, Steve, wann haben Sie das letzte Mal gedacht: »Oivavoi«?
Josh Breslaw: Ich denke das jeden Tag! Aber nicht in Bezug auf unsere Band, sondern auf viele andere Dinge.
Steve Levi-Kallin: Ich kürze es manchmal sogar ab und sage nur »Oi«. Meinen Kindern gefällt es. Zumindest lachen sie.
Wie sind Sie auf diesen Namen für Ihre Band gekommen?
Josh: Oft fängt die Namenssuche mit ein paar Witzen an. »Lasst uns die Band einfach ›Peanut Monkeys‹ oder ›Cheese Monsters‹ nennen. Leute denken sich viele lustige Namen aus. Irgendwann sagte jemand: »Oivavoi!«. Zuerst fanden wir allerdings: »Oivavoi«, so können wir uns doch nicht nennen. Wir waren auf gutem Weg, bekannter zu werden, wir wollten ja ernsthaft Musik machen. Aber dann ergab es Sinn. Denn wir dachten: Vielleicht lässt der Name bei Hörern Fragen aufkommen. Oder, Steve? Was meinst du?
Steve: Ja, ich erinnere mich auch noch daran. Einer unserer Bandkollegen erzählte seiner Oma, dass er jetzt in einer Band spielt, die so heißt. Woraufhin sie sagte: »Oivavoi, warum kannst du nicht Arzt oder Buchhalter sein?«
Fragen euch Leute bei Konzerten auch danach?
Josh: Oh ja, und manche reagieren sehr emotional auf »Oivavoi«, denn wenn man nur die Musik hört, würde man vielleicht nicht ausgerechnet diesen Namen vermuten.
Steve: Aber wir machen das jetzt schon so lange, dass »Oivavoi« einfach zu uns gehört.
Josh: Mein Dad muss bis heute grinsen, dass ich eine Band namens »Oi Va Voi« gegründet habe. Er ist auch Musiker und war nie in Richtung Klezmer und jüdische Musik unterwegs. Er dachte immer, dass er zu cool für so etwas wäre – er selbst spielt Jazz. Dass unsere Band mit diesem Namen so erfolgreich ist, bringt ihn zum Lachen.
Steve: »Oi Va Voi« – der Name hat uns auch geholfen, die Band zu sein, die wir heute sind. Denn wir sind auch von der Musik her nicht Mainstream, wir haben nicht diesen typisch britischen Sound. Wir haben unsere eigene Identität und wollen unseren eigenen Sound beibehalten – und nicht wie jede andere Indie-Band klingen.
Welche Bands haben Sie beeinflusst?
Josh: Auf mich wirken viele verschiedene Einflüsse – Jazz und Hip-Hop. Ich bin ein »Beats«-Typ. Ich habe durch unsere Band viel über osteuropäische Musik, den Sound und die Mischung aus Geige, Trompete und Klarinette gelernt. Es geht bei uns sehr stark um Beats und Atmosphäre; es geht um die Mischung aus Klängen, die aus einem bestimmten Teil Osteuropas kommen, nämlich den europäisch-jüdischen Sound.
Steve: Ich mag Melodien, die ich als Kind in der Synagoge gehört habe. Aber ich habe auch britische Popmusik gehört, Dance, Indie: Es ist ein bisschen von allem.
»The Water’s Edge« heißt Ihr neues Album. Wie sind Sie an die Produktion herangegangen?
Josh: Es hat einige Zeit gebraucht, bis dieses Album fertig war. Das letzte hatten wir 2018 aufgenommen. Danach kamen die Pandemie-Jahre, und wir sind nicht getourt. Steve und ich haben anschließend überlegt, was wir auf unserem nächsten Album machen wollen. Denn auf den vier vorherigen hatten wir in etwa auf den gleichen Instrumenten gespielt. Uns beiden war sehr schnell bewusst, dass unser neues Album ein bestimmtes Gefühl beschreiben sollte. Wir haben ein Klavier dazu geholt und es diesmal ganz allein gemacht.
Was heißt das, ganz allein?
Josh: Sonst hatten wir ein großes Produktionsteam, fünf oder sechs Leute, aber bei dieser Aufnahme wollten wir uns ganz auf den Prozess fokussieren. Allerdings haben wir mit der Londoner Musikerin Sarah Anderson zusammengearbeitet.
Wie haben Sie diese Art der Aufnahme empfunden, Steve?
Steve: Sarah hat so viele neue Ideen mit eingebracht, es war sehr inspirierend, schneller, fokussierter.
Josh: Wenn man so lange zusammenarbeitet und so viele Alben zusammen aufgenommen hat wie Steve und ich, dann ist es schön, völlig neue Ideen zu entdecken.
Der Song »Dance Again« auf dem neuen Album bezieht sich auf das Nova-Festival am 7. Oktober 2023 in Israel, bei dem mehr als 360 Besucher von Terroristen der Hamas ermordet wurden. Wie ist dieser Titel entstanden?
Steve: Der 7. Oktober 2023 hat uns alle schockiert. Der Tag hatte einen nachhaltigen Einfluss auf die Menschen in London und Großbritannien. Nicht so sehr wie auf die Menschen in Israel, aber die Gemeinden haben so etwas seit der Schoa nicht mehr erlebt. In den sozialen Medien sind unterschiedliche Gruppen einander sehr lautstark angegangen. Wir haben uns eher herausgehalten, denn wir wollten uns lieber musikalisch äußern und nicht mit einem politischen Statement. Wir wollen Solidarität für die Menschen ausdrücken, die betroffen waren. Und wir wollten einen Song schreiben, in dem es um Hoffnung geht, einen Song, der die Botschaft sendet: Wir werden wieder tanzen – We will dance again.
Josh: Dieser Song ist als der fünfte Titel in der Mitte des Albums platziert. Wir hatten bereits den ersten Teil fertig, dann kam der 7. Oktober, und danach brauchten wir erst einmal ein paar Wochen, um uns darüber klar zu werden, was wirklich los ist. Alles um uns herum fühlte sich verrückt an. Nicht nur in den Straßen, sondern auch im Internet. Jeder schien plötzlich eine Meinung zu allem zu haben. Und jeder dachte nicht nur, dass die eigene Meinung zu einem seit 70, 80 Jahren ungelösten Konflikt unbedingt gehört werden sollte, sondern dass er selbst auch die Antwort darauf wisse. Das passierte von gestern auf heute, und es ist uns sehr nahe gegangen. Wir sind eine Band, wir haben keine Antworten auf den Nahostkonflikt. Wir als Band können aber Hoffnung und Mitgefühl ausdrücken. Für mich weist dieser Song in zwei Richtungen.
Können Sie das genauer beschreiben?
Josh: Er ist für die Menschen gedacht, die direkt leiden mussten. Und er ist auch eine Botschaft an Jüdinnen und Juden, dass wir alle gemeinsam leiden. Wir richten uns aber auch an andere Menschen und Gemeinschaften weltweit, die Traumata erleiden. All ihnen möchten wir mit diesem Song sagen, dass hoffentlich bald ein besserer Tag anbricht, dass man wieder tanzen wird – ob das nun ein physischer oder seelischer Tanz ist oder eine Frage der persönlichen Haltung. Ich finde, es ist eine schöne Metapher. Für mich ist dieser Song das Herz des Albums. Es hat zehn Songs, und »Dance Again« ist das schlagende Herz in der Mitte. Für mich bewegt sich alles um diesen Song herum. Er bedeutet uns beiden sehr viel.
Sie waren gerade auf Tour und spielen immer wieder live. Wie fühlt es sich an, auf der Bühne zu stehen?
Steve: Es ist ein direkter Test, ob ein Song beim Publikum ankommt oder ob er durchfällt. Man kann sich vor einem Publikum nicht verstecken.
Josh: Wir hatten 14 Shows, und mit jedem Auftritt lernt man dazu. Wenn man die neuen Songs zum ersten Mal spielt, muss man akzeptieren, dass es Teile geben wird, die nicht perfekt sind. Und wenn man nach der ersten Nacht von der Bühne kommt, weiß man, dass dieser Teil des Songs vielleicht eine andere Energie braucht. Es ist nicht so, dass du ihn falsch gespielt hast, es ist einfach so, dass er hoch- oder heruntergeregelt werden muss an der einen oder anderen Stelle. Man lernt in der ersten Nacht, dann wird es besser, und hoffentlich wird es immer besser. Das ist jedes Mal von Neuem aufregend.
Ihre jüngsten Konzerte Ende Mai in Bristol und Brighton wurden abgesagt. Was steckt dahinter?
Steve: Die Auftritte wurden wegen der politischen Ansichten einer Gruppe abgesagt, die keine Ahnung hatte, wer wir sind und wofür wir stehen. Wir wurden herausgegriffen und aufgefordert, uns für die Handlungen einer ausländischen Regierung zu verantworten, und das auf eine Art und Weise, wie es bei keiner anderen Veranstaltung der Fall wäre. Wir glauben, dass die Wurzeln dieser Absage diskriminierend und antisemitisch waren. Als dies geschah, waren wir völlig schockiert und auch sehr wütend. Als Band, die seit 20 Jahren Musik macht, der es darum geht, Menschen zusammenzubringen und Grenzen zu überwinden, können wir nicht verstehen, wie so etwas im Jahr 2025 in Großbritannien passieren kann.
Mit Steve Levi-Kallin und Josh Breslaw sprach Katrin Richter.
Oi Va Voi: »The Waterʼs Edge«. Parallel Skies (Rough Trade), 2025, 17,99 €