Glosse

Das kleine »Yud« und ich

Foto: Marco Limberg

Hebräisch ist schwierig. Sehr schwierig. Denn nichts ist so, wie es scheint. Buchstaben wechseln aus mir unerklärlichen Gründen ihren Klang. Das »Waw« macht auf ganz dicke Hose: Mal ist es ein a, e, i, o, u, also ein Vokal, mal ist es ein »Waw« und wird als solches gesprochen – »Waw«. Sein kleiner Freund »Yud« foppt mich genauso, nie bin ich mir sicher, wie ich es auszusprechen habe. Yud? i?

Alle scheinen diese Sprache leicht zu erlernen. Menschen, die erst viel kürzere Zeit in Israel leben als ich, diskutieren mit Einheimischen über das Ergebnis der letzten Wahlen und ob Bar Refaeli einen Jungen oder ein Mädchen erwartet – auf Hebräisch natürlich. Ich frage immer noch leicht beschämt nach einer englischen Speisekarte: »Efschar tafrid be anglit, bewakasha?« Das ist nicht fair.

verkehrschaos Nun aber, endlich, endlich, hörte ich eine Dame, die deutlich schlechter Hebräisch spricht als ich. Okay, sie ist nicht wirklich eine Dame, sie ist die weibliche Stimme in »Google Maps«, die mir mit eindeutig deutschem Akzent im Tel Aviver Verkehrschaos Anweisungen gibt, wenn ich statt der Golan-Sim-Karte die von Vodafone in meinem Telefon lasse. Das ist so witzig. Es ist, als ob ein Jude einem Christen erklärt, warum es keinen Weihnachtsmann gibt. Dabei strengt sie – die weibliche Stimme – sich wirklich an, mir mit deutscher Genauigkeit den Weg zu weisen.

Ich wünsche mir, eines Tages den Wetterbericht in den israelischen Nachrichten zu verstehen.

»Fahren Sie bis Weizmann Sankt!« Es dauerte viele Ausflüge, bis ich begriff, dass der Sprachcomputer, der das Gehirn meiner Navigationsfreundin ist, aus der englischen Abkürzung »st.« für »street« ein deutsches »Sankt« macht. Und schon ist Weizmann heilig. Sankt Weizmann. Aus »Dschabotinsky« wird das deutsche »Jabotinskü« mit »ü« am Ende, aus »Disengoff« wird »Ditzeng off«, aus der Stadt »Rechovot« macht sie »Reh owotttt«. Die kleine »Rabejnu Tam Street« mutiert zu »Rabe In U Tam Sankt«, noch ein Heiliger mitten in Tel Aviv. Der wunderschöne Park »Gan Me-ir« in meiner Nachbarschaft heißt in meinem Telefon konsequent »Gan Meier«, wie das deutsche Meier eben.

künstliche intelligenz Ich feiere beim Fahren durch das Land meiner Träume den Umstand, dass es tatsächlich Menschen gibt, deren Hebräisch noch lausiger ist als meines. Auch wenn diese Menschen nur eine Stimme im Telefon ist, erzeugt von Computern. Also künstlich. Und ich frage mich: Wenn Künstliche Intelligenz so funktioniert, wie erfolgreich wird dann Autonomes Fahren mit Navigationsanweisungen à la Google Maps sein?

Aber das ist Zukunftsmusik, genauso wie mein Wunsch, eines Tages den Wetterbericht in den israelischen Nachrichten zu verstehen. Wir sind optimistisch, das kleine »Yud« und ich.

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert