Herr Dudde, Sie haben in den vergangenen Jahren mehr als 75.000 Bücher der Frankfurter Universitätsbibliothek untersucht, die während oder kurz nach der NS-Zeit erworben wurden. Was haben Sie dabei herausgefunden?
Wir haben neben regulären Erwerbungen aus jener Zeit zahlreiche Bücher entdeckt, die auf einen verfolgungsbedingten Hintergrund hinweisen, darunter vor allem Bücher aus dem Frankfurter Antiquariat Baer. Sage und schreibe 5000 Bücher jener »Erwerbungen« stammen aus diesem Antiquariat – ein solches Ausmaß an möglichem Raubgut hat uns wirklich überrascht.
Mit wie viel Raubgut hatten Sie denn gerechnet?
Wir hatten uns an vergleichbaren Projekten aus anderen großen Bibliotheken orientiert und mit etwa einem Prozent gerechnet – tatsächlich waren es mehr als neun.
Was hat es mit dem Antiquariat Baer auf sich?
Es war bis Anfang der 30er-Jahre eines der bekanntesten Antiquariate weltweit und wurde in vierter Generation von einer Frankfurter jüdischen Familie geführt. 1934 ist es liquidiert worden – nicht »arisiert«, sondern komplett aufgelöst. Die Stadt Frankfurt und die Uni erwarben aus dieser Liquidationsmasse zahlreiche Bücher unter Wert, die dann ihren Weg in die Bibliotheken fanden. Nach dem Krieg gab es ein Restitutionsverfahren, das in einem Vergleich endete. Aus heutiger Sicht muss man jedoch stark anzweifeln, dass es dabei fair zuging.
Ihr Projektteam sucht nun nach den Erben der Familie Baer, um gemeinsam eine gerechte Lösung zu entwickeln.
Ja, sie leitet sich aus den Prinzipien der Washingtoner Erklärung von 1998 ab – daran orientieren wir uns in aller Regel. Bisher konnten wir in 36 Fällen restituieren. Die Bücher gehen entweder direkt zurück an die Erben und Rechtsnachfolger, an Institutionen und Familien. Oder wir bekommen die Bände zurück als Geschenk – oder behalten sie als Dauerleihgabe. In Einzelfällen haben wir auch Bücher für die Sammlung zurückgekauft. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Immer ist aber maßgeblich, dass die Lösung den Wünschen der Erben entspricht. Im konkreten Fall muss zuerst der Kontakt mit der Familie aufgenommen werden.
Welche Auswirkungen hat Ihre Untersuchung auf andere Bibliotheken?
Das Thema »Raubgut und Provenienzforschung in Bibliotheken« ist in der Öffentlichkeit noch nicht so bekannt wie die Raubkunst in Museen. Wir haben es in Bibliotheken weniger mit Wertgegenständen wie teuren Gemälden zu tun, sondern oft mit sehr persönlichen Objekten – das zeigen etwa Widmungen und handschriftliche Notizen, die wir regelmäßig entdecken. Wir hoffen, dass wir, indem wir an die Öffentlichkeit gehen und das Thema transparent machen, mit unserer Arbeit auf andere Häuser ausstrahlen und weitere Projekte anstoßen.
Mit dem Frankfurter Provenienzforscher sprach Tobias Kühn.