Restitution

»Das Ausmaß hat uns überrascht«

Daniel Dudde Foto: pr

Restitution

»Das Ausmaß hat uns überrascht«

Daniel Dudde über geraubte Bücher, Provenienzforschung an Bibliotheken und gerechte Lösungen

von Tobias Kühn  15.07.2025 18:13 Uhr

Herr Dudde, Sie haben in den vergangenen Jahren mehr als 75.000 Bücher der Frankfurter Universitätsbibliothek untersucht, die während oder kurz nach der NS-Zeit erworben wurden. Was haben Sie dabei herausgefunden?
Wir haben neben regulären Erwerbungen aus jener Zeit zahlreiche Bücher entdeckt, die auf einen verfolgungsbedingten Hintergrund hinweisen, darunter vor allem Bücher aus dem Frankfurter Antiquariat Baer. Sage und schreibe 5000 Bücher jener »Erwerbungen« stammen aus diesem Antiquariat – ein solches Ausmaß an möglichem Raubgut hat uns wirklich überrascht.

Mit wie viel Raubgut hatten Sie denn gerechnet?
Wir hatten uns an vergleichbaren Projekten aus anderen großen Bibliotheken orientiert und mit etwa einem Prozent gerechnet – tatsächlich waren es mehr als neun.

Was hat es mit dem Antiquariat Baer auf sich?
Es war bis Anfang der 30er-Jahre eines der bekanntesten Antiquariate weltweit und wurde in vierter Generation von einer Frankfurter jüdischen Familie geführt. 1934 ist es liquidiert worden – nicht »arisiert«, sondern komplett aufgelöst. Die Stadt Frankfurt und die Uni erwarben aus dieser Liquidationsmasse zahlreiche Bücher unter Wert, die dann ihren Weg in die Bibliotheken fanden. Nach dem Krieg gab es ein Restitutionsverfahren, das in einem Vergleich endete. Aus heutiger Sicht muss man jedoch stark anzweifeln, dass es dabei fair zuging.

Ihr Projektteam sucht nun nach den Erben der Familie Baer, um gemeinsam eine gerechte Lösung zu entwickeln.
Ja, sie leitet sich aus den Prinzipien der Washingtoner Erklärung von 1998 ab – daran orientieren wir uns in aller Regel. Bisher konnten wir in 36 Fällen restituieren. Die Bücher gehen entweder direkt zurück an die Erben und Rechtsnachfolger, an Institutionen und Familien. Oder wir bekommen die Bände zurück als Geschenk – oder behalten sie als Dauerleihgabe. In Einzelfällen haben wir auch Bücher für die Sammlung zurückgekauft. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Immer ist aber maßgeblich, dass die Lösung den Wünschen der Erben entspricht. Im konkreten Fall muss zuerst der Kontakt mit der Familie aufgenommen werden.

Welche Auswirkungen hat Ihre Untersuchung auf andere Bibliotheken?
Das Thema »Raubgut und Provenienzforschung in Bibliotheken« ist in der Öffentlichkeit noch nicht so bekannt wie die Raubkunst in Museen. Wir haben es in Bib­liotheken weniger mit Wertgegenständen wie teuren Gemälden zu tun, sondern oft mit sehr persönlichen Objekten – das zeigen etwa Widmungen und handschriftliche Notizen, die wir regelmäßig entdecken. Wir hoffen, dass wir, indem wir an die Öffentlichkeit gehen und das Thema transparent machen, mit unserer Arbeit auf andere Häuser ausstrahlen und weitere Projekte anstoßen.

Mit dem Frankfurter Provenienz­forscher sprach Tobias Kühn.

Genf

Entscheidung gefällt: Israel bleibt im Eurovision Song Contest

Eine Mehrheit der 56 Mitgliedsländer in der European Broadcasting Union stellte sich am Donnerstag gegen den Ausschluss Israels. Nun wollen Länder wie Irland, Spanien und die Niederlande den Musikwettbewerb boykottieren

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann wird heute mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt. Bislang schwieg sie zur scharfen Kritik an ihrer Arbeit. Doch jetzt antwortete die ARD-Journalistin ihren Kritikern

 04.12.2025

Antisemitismus

Schlechtes Zeugnis für deutsche Schulen

Rapper Ben Salomo schreibt über seine Erfahrungen mit judenfeindlichen Einstellungen im Bildungsbereich

von Eva M. Grünewald  04.12.2025

Literatur

Königin Esther beim Mossad

John Irvings neuer Roman dreht sich um eine Jüdin mit komplexer Geschichte

von Alexander Kluy  04.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter, Imanuel Marcus  04.12.2025

Show-Legende

Mr. Bojangles: Sammy Davis Jr. wäre 100 Jahre alt geworden

Er sang, tanzte, gab den Spaßmacher. Sammy Davis Jr. strebte nach Erfolg und bot dem Rassismus in den USA die Stirn. Der Mann aus Harlem gilt als eines der größten Showtalente

von Alexander Lang  04.12.2025

Preisvergabe

Charlotte Knobloch kritisiert Berichterstattung von Sophie von der Tann

Dass problematische Berichterstattung auch noch mit einem Preis ausgezeichnet werde, verschlage ihr die Sprache, sagt die Präsidentin der IKG München

 04.12.2025

Philosophie

Drang zur Tiefe

Auch 50 Jahre nach ihrem Tod entzieht sich das Denken Hannah Arendts einer klaren Einordnung

von Marcel Matthies  04.12.2025

Kulturbetrieb

»Wie lange will das politische Deutschland noch zusehen?«

Der Bundestagskulturausschuss hörte Experten zum Thema Antisemitismus an. Uneins war man sich vor allem bei der Frage, wie weit die Kunstfreiheit geht

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025