Erinnerungspolitik

Weimer: Gedenkstätten sind zentrale Pfeiler der Demokratie

Gedenkstätte Gleis 17 am S-Bahnhof Grunewald in Berlin Foto: imago images/Jürgen Ritter

80 Jahre nach dem Holocaust setzt die Bundesregierung neue Schwerpunkte für die Arbeit in Gedenkstätten, um die Erinnerung an die Grauen der Vergangenheit wach zu halten. Auf Vorschlag von Kulturstaatsminister Wolfram Weimer beschloss das Bundeskabinett eine überarbeitete Konzeption für die Gedenkstätten an die NS-Verbrechen und an die SED-Diktatur.

Es geht unter anderem darum, in einer Epoche mit weniger Zeitzeugen jüngere Menschen mithilfe von Digitalisierung zu informieren, zum Beispiel mit Zeitzeugen-Hologrammen. Die beiden anderen Schwerpunkte: Erhalt der historischen Orte, also die Sicherung und Sanierung der Gedenkstätten, und die Vermittlung und Forschung mittels neuer Ausstellungsformen. 

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»Die Bundesrepublik Deutschland trägt eine dauerhafte Verantwortung, die staatlich begangenen Verbrechen des 20. Jahrhunderts aufzuarbeiten und der Opfer zu gedenken«, erklärte Weimer. »Gedenkstätten und Erinnerungsorte sind dabei zentrale Pfeiler unseres demokratischen Selbstverständnisses.« 

Mit der Konzeption reagiert der Bund den Angaben zufolge auf aktuelle Entwicklungen: den wachsenden zeitlichen Abstand, eine vielfältigere Gesellschaft, den digitalen Wandel und zunehmende Anfeindungen und Angriffe auf die Gedenkstätten. »Wichtig ist dabei auch, dass die politische und fachliche Unabhängigkeit der Gedenkstätten weiterhin gewahrt bleibt«, erklärte Weimer.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, begrüßte Weimers Konzept.

In der rund 50 Seiten starken »Konzeption des Bundes für die Gedenkstätten zur Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur« wird auf wachsende Anfeindungen gegen NS-Gedenkstätten hingewiesen. Deren Arbeit werde infrage gestellt, historische Fakten würden geleugnet, Mitarbeiter verunsichert oder bedroht.

»Der Vandalismus in den Einrichtungen und die Gewalt gegen Sachen haben insbesondere in den Gedenkstätten zur Erinnerung an NS-Verbrechen in erschreckendem Ausmaß zugenommen«, heißt es in dem Papier. Die Erinnerung an die Schoa, an die Staatsverbrechen und staatliches Unrecht müsse gegen verleugnende oder revisionistische Tendenzen verteidigt werden.

Der Entwurf des Konzepts ist schon seit einigen Wochen bekannt. Weimer betont vor allem die Erinnerung an die Schoah, also die Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden durch die Nationalsozialisten. Auch das Gedenken an die SED-Diktatur ist für ihn zentral, wobei er klarstellt, dass beide Diktaturen nicht gleichzusetzen seien. 

Scharf abgegrenzt hat sich Weimer hingegen von Ideen seiner Vorgängerin Claudia Roth (Grüne), auch Verbrechen des deutschen Kolonialismus in das Konzept aufzunehmen. Einige Historiker kritisierten dies. Weimer erklärte nun, zur deutschen Kolonialgeschichte werde es ein eigenständiges Konzept geben.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, begrüßte Weimers Konzept. »Der klare Fokus auf die Verbrechen der NS-Diktatur und der Schwerpunkt auf den singulären Zivilisationsbruch der Schoah senden dabei angesichts der aktuellen Herausforderungen und der Bedrohung jüdischen Lebens durch den wieder aufkeimenden Antisemitismus das richtige Signal«, erklärte Schuster.

Die Beauftragte des Bundestags für die Opfer der SED-Diktatur, Evelyn Zupke, betonte die Bedeutung aller Gedenkstätten als »kritische Infrastruktur unserer Demokratie«: »So wie wir Schienen, Straßen und Brücken sanieren und modernisieren, müssen wir auch unsere Einrichtungen zur Geschichtsvermittlung fit machen für die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft.« 

Die Gedenkstättenkonzeption des Bundes wurde erstmals 1999 beschlossen und 2008 fortgeschrieben. Sie ist die Grundlage für die Förderung der Gedenkstätten an historischen Orten. Künftig soll eine Kommission Empfehlungen erarbeiten, welche Orte in die Förderung durch den Bund aufgenommen werden sollen.

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