Interview

»Berlin heißt Sumpf«

Dominik Graf, der Held Ihrer Serie ist der Berliner Polizist Gorsky, dessen jüdische Familie aus Riga zugewandert ist. Mit der Darstellung von Juden tun sich deutsche Filme oft schwer. Wie sind Sie vorgegangen ?
Offen gesagt, habe ich mir hier über das Jüdische gar keine besonderen oder gar belastenden Gedanken gemacht. Ich habe gearbeitet wie sonst auch: Natürlich habe ich ein paar Szenen inhaltlich von Fachleuten überprüfen lassen, aber ich war mir keinen Moment unsicher darin, die jüdische Kultur hier möglichst selbstverständlich zu zeigen. Bei der Szene, in der die Hauptfigur mit seiner Familie den Schabbat feiert, war es mir wichtig, dass man als Zuschauer trotz der Kürze das Gefühl hat, den ganzen Ritus mitzubekommen. Ich wollte einen Eindruck von der Würde des Moments entstehen lassen.

Was für ein Charakter ist Gorsky?
Er ist schwierig, zerrissen. Er will keine Rache für den Mord an seinem Bruder nehmen, und doch treiben ihn die Rachegefühle irgendwann an. Er ist nicht bereit für die Liebe und sehnt sich doch danach. Er lügt fast nie, aber er verschweigt viel – zum Beispiel sagt er seinen Polizeikollegen nicht, dass er Jude ist.

Eine andere jüdische Figur ist eine Art Mafia-Pate in Rente.
Ja, »Onkel Sascha«, der offenbar den Gangstern und ihren organisierten Strukturen als eine Art Richter vorsteht. Er ist Jude aus Odessa, sagt er einmal. Es gibt die wunderbaren alten jüdischen Gangstergeschichten aus Odessa von Isaak Babel. Ein bisschen davon habe ich auch in den Gangster-Episoden meines Drehbuchautors Rolf Basedow gefunden. Sie haben einen Anteil von Anarchie und Wahnsinn, den man nicht unbedingt im eigenen Leben haben will, aber umso begeisterter nachinszenieren möchte.

Sie zeigen ein Berlin der Neureichen, die dauernd mit 500-Euro-Scheinen wedeln. Und verdienen tun daran die kleinen Kriminellen und die dicken Gangster in den Villenvierteln …
Ja, oder der Finanzsenator, der bei dem Gangster im Grunewald eingeladen ist, verdient – natürlich privat – noch ein bisschen mit. Oder der Typ, der in einer Folge im Hotelzimmer im schwarzrotgoldenen Bademantel auf die Prostituierte wartet, mit der er dann Opern hört und Tee trinkt – mit Blick auf den Potsdamer Platz. Das sind Gestalten des neuen Berlin, glaube ich. Es gab eine Dialogpassage, die leider nicht mehr im Film ist, in der ein Sowjetgeneral erzählt, wie Berlin zu seinem Namen kam: Nicht Markgraf Albrecht der Bär von Brandenburg ist der Namensgeber, sondern das Wort »Berlo« aus dem Slawischen – das heißt in etwa »Ort im Sumpf«.

Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.

Geschichte

Derrick, der Kommissar von der Waffen-SS

Horst Tappert wurde in der Bundesrepublik als TV-Inspektor Derrick gefeiert - bis ein erhebliches Problem in seinem Lebenslauf bekannt wird

von Thomas Gehringer  11.10.2024

Analyse

Die neuen alten Grenzen der Solidarität

Erstaunt über den aktuellen Judenhass? Lesen Sie doch mal Jean Amérys 60 Jahre alte Texte

von Leeor Engländer  11.10.2024

Sachbuch

Deutschland und Israel nach dem 7. Oktober

Was ist mit den gemäßigten und liberalen Israelis seit dem 7. Oktober? Fania Oz-Salzberger geht dem in ihrem neuen Buch nach. Und streift dabei durch die Geschichte Israels bis hin zum Hamas-Überfall vor einem Jahr

von Leticia Witte  11.10.2024

Medien

Künftig weniger Folgen von »Hart aber fair«

Bei der Talkshow kehrt weiterhin keine Ruhe ein. Die ARD will die Sendung seltener ausstrahlen. Gastgeber Louis Klamroth soll stattdessen neue Formate für die Mediathek entwickeln

von Christof Bock  10.10.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  10.10.2024

Berlin

Neues Schiedsgericht soll Verfahren für Rückgabe von Nazi-Raubgut verbessern

Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände haben sich auf eine neue Instanz im Verfahren zur Rückgabe von NS-Raubgut geeinigt. Zentral ist dabei die »einseitige Anrufbarkeit«. Was steckt dahinter?

von Ann-Marie Utz  10.10.2024

Porträt

Nobelpreis für Literatur: Dieser jüdische Schriftsteller gilt als großer Favorit

Eine Prognose von Maria Ossowski

von Maria Ossowski  10.10.2024 Aktualisiert

Kolumne

Sicherheit, was für ein absurdes Konzept!

Warum ich in diesen »schrecklichen Tagen« zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur an Anemonen denke

von Laura Cazés  09.10.2024

Geschichte

Aufstand der Verzweifelten

Am 7. Oktober 1944 erhob sich das Sonderkommando im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gegen die SS

von Stephan Lehnstaedt  09.10.2024