Finale

Benis Welt

Als meine Vorfahren vor hundert Jahren in die Schweiz kamen, hießen sie noch Frenkiel. Die eidgenössischen Behörden haben den Namen in Frenkel geändert. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht kann kein echter Schweizer Frenkiel richtig aussprechen oder schreiben. Frenkel allerdings auch nicht. Es vergeht kein Behördentag, an dem aus mir nicht Fränkel wird. Ich muss dann immer eingreifen: »E wie Emil!« Nicht selten heiße ich danach Frenkäl. Ich verstehe die Beamten. Ich würde auch lieber anders heißen. Beni Frenkel klingt sehr jüdisch. Warum habe ich nicht einen schönen Vornamen wie Kevin oder Jan? Frenkel muss auch nicht unbedingt sein. Frank oder, behördenkonform, Fränkel – warum eigentlich nicht? Jan Frank oder Kevin Fränkel, das sind Namen, von denen ich manchmal träume.

mehrheitsfähig Aber ich bin nun mal Beni Frenkel. Eindeutig Jude. Wenn man so heißt, darf man keine Bank ausrauben. Das würde den Antisemitismus fördern. Aus dem Grund achte ich auch auf mein Gewicht. Die Gojim sollen nicht denken: »Beni Frenkel, das ist dieser dicke Jude!« Zu dünn will ich aber auch nicht sein. Nach einer jüngst veröffentlichten Untersuchung ist jeder zweite Schweizer übergewichtig. Von der Mehrheit möchte ich mich nicht zu sehr abheben.

Wenn ich in einem Restaurant sitze, gucke ich deshalb immer, was die anderen Gäste machen. Wenn alle Bier trinken, bestelle ich mir auch eines. Und wenn ich die Rechnung begleiche, kalkuliere ich stets genau, wie viel Trinkgeld angemessen ist. Denn gebe ich zu wenig, heißt es: »Beni Frenkel, das ist dieser Geizjude!« Gebe ich zu viel, sagen die Leute: »Beni Frenkel, das ist dieser reiche Jude!«

st. christophorus Ich mache darum jetzt auch den Führerschein. Bislang fahre ich kein Auto. Aber so gut wie alle anderen Schweizer sind motorisiert. Und ich möchte nicht, dass es heißt: »Beni Frenkel – das ist der Jude, der kein Auto fährt!« Anfangs hat mich zwar etwas gestört, dass die Fahrschule, bei der ich lerne, in all ihren Wagen am Armaturenbrett einen heiligen Christophorus kleben hat. Das ist der christliche Schutzpatron der Reisenden. Für mich ist er wahrscheinlich nicht zuständig. Ich werde, wenn ich meinen ersten Wagen fahre, neben dem Lenkrad lieber das Reisegebet Tefillat Haderech anbringen. Obwohl, vielleicht ist das keine so gute Idee. Dann heißt es am Ende: »Beni Frenkel, das ist der Jude, der keinen heiligen Christophorus im Auto hat.«

Möglicherweise stellt sich das Problem aber auch überhaupt nicht. Kommende Woche habe ich Fahrprüfung. Wahrscheinlich werde ich nicht bestehen. Was aber auch nicht gut ist. Weil es dann wohl heißt: »Beni Frenkel, das ist der Jude, der beim Führerschein durchgefallen ist.«

Hans-Jürgen Papier

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  26.11.2025

Hommage

Pionier des Erinnerns

Der Filmemacher und Journalist Claude Lanzmann wäre diese Woche 100 Jahre alt geworden. Unser Autor ist ihm mehrmals persönlich begegnet

von Vincent von Wroblewsky  26.11.2025

Zahl der Woche

6500 Rabbiner

Funfacts & Wissenswertes

 26.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Coole Nichten, coole Tanten

von Katrin Richter  26.11.2025

Kulturkolumne

Lob der Anwesenheit

Lahav Shani und Jason Stanley: Warum unser Autor nicht nur in der Westend-Synagoge vor Ort ist

von Eugen El  26.11.2025

Film

Shira Haas ist Teil der Netflix-Serie »The Boys from Brazil«

Die israelische Schauspielerin ist aus »Shtisel« und »Unorthodox« bekannt

 26.11.2025

Zwischenruf

Was bleibt von uns?

Was bleibt eigentlich von uns, wenn Apple mal wieder ein Update schickt, das alles löscht? Jede Höhlenmalerei erzählt mehr als eine nicht mehr lesbare Floppy Disk

von Sophie Albers Ben Chamo  25.11.2025

Kultur

André Heller fühlte sich jahrzehntelang fremd

Der Wiener André Heller ist bekannt für Projekte wie »Flic Flac«, »Begnadete Körper« und poetische Feuerwerke. Auch als Sänger feierte er Erfolge, trotzdem konnte er sich selbst lange nicht leiden

von Barbara Just  25.11.2025

Jüdische Kulturtage

Musikfestival folgt Spuren jüdischen Lebens

Nach dem Festival-Eröffnungskonzert »Stimmen aus Theresienstadt« am 14. Dezember im Seebad Heringsdorf folgen weitere Konzerte in Berlin, Essen und Chemnitz

 25.11.2025