Finale

Benis Welt

Sie haben vielleicht schon mal die Geschichte von dem Mann gehört, der auf dem Flohmarkt für ein paar Euro ein verstaubtes Gemälde kaufte, das sich dann als echter Picasso aus der blauen Periode herausstellte. Etwas Ähnliches ist mir kürzlich auch passiert. Und ich musste das Kunstwerk nicht einmal kaufen. Es stand auf der Straße. Ein Heiligenbild. Maria und Jesus. Die Muttergottes war etwa 18 Jahre alt und sah wirklich toll aus. Der Kleine hatte rote Wangen und wirkte satt und zufrieden. Wahrscheinlich hatte er gerade sein Bäuerchen gemacht. Neben dem Bild lag ein Zettel, darauf stand: Gratis. Prompt nahm ich das Kunstwerk unter den Arm, ohne lange nachzudenken. Eine Art Reflexhandlung. Sie wissen schon: Jude und umsonst.

Erst kurz bevor ich zu Hause ankam, setzten meine Denkprozesse wieder ein. Was sollte ich eigentlich mit dem Bild? Ich bin jüdisch. Mit christlichen Ikonen habe ich es nicht so. Andererseits: Das Bild war nicht nur gratis, sondern auch wirklich schön: Madonna und Jesuskind waren in satten Primärfarben gemalt, der Hintergrund glänzte golden. Der Holzrahmen war farbig lackiert und würde gut zu unseren Ikeamöbeln passen. Wenn jüdischer Besuch käme, müsste man das Bild halt abhängen. Oder behaupten, es handele sich um Moses mit der ägyptischen Prinzessin.

kunstmarkt Das sagte ich auch meiner Frau. Aber die versteht nicht so viel von Kunst. Jesus komme ihr nicht ins Haus, erklärte sie. Basta! Ich stellte das Bild weg, hinter den Kleiderschrank.

Doch Ruhe ließ es mir nicht. Ein Gemälde der Öffentlichkeit vorzuenthalten, ist nicht nur kulturfeindlich, es macht auch wirtschaftlich keinen Sinn. Und so beschloss ich, die Madonna dem Kunstmarkt zuzuführen. Ich stellte das Bild auf Ebay mit einem Anfangsgebot von einem Euro. Mit dem Erlös der Auktion, so mein Plan, würde ich mit meiner Frau fein essen gehen.

Nach einer Woche lag das Gebot für das Bild schon bei zwei Euro. Dabei blieb es dann aber leider auch. Die Auktion endete an einem Freitag. Gegen 18 Uhr klingelte es an der Tür. Eine Frau stand dort. Über ihrem dicken Busen baumelte ein großes Kruzifix. Ah, die Höchstbieterin. Rasch holte ich Jesus mit Maria, überreichte der Dame das Bild und versuchte, höflich zu lächeln. »Macht dann zwei Euro, bitte«, sagte ich und dachte an Judas. Der hat immerhin 30 Silberlinge erhalten. Ich komme, abzüglich Einstellgebühr, auf 1,78 Euro. Ich bin sowas von einem Loser.

Meinung

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Fall Samir

Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Nur nicht selbst beteiligen oder Tipps für den Mietwagen in Israel

von Ayala Goldmann  20.04.2024

Frankfurt am Main

Bildungsstätte Anne Frank zeigt Chancen und Risiken von KI

Mit einem neuen Sammelband will sich die Institution gegen Diskriminierung im digitalen Raum stellen

von Greta Hüllmann  19.04.2024